Wie steht es um die Finanzkompetenz der jungen Menschen? Was sollen Eltern auf keinen Fall tun? Und welche Rolle spielt das Taschengeld? Antworten von Annamaria Lusardi, Direktorin des Global Financial Literacy Excellence Center an der George-Washington-Universität.

Frau Lusardi, wie viel Taschengeld bekamen Sie?
Gar keines.

Wie haben Sie denn als Kind den Umgang mit Geld gelernt?
Ich wuchs in einem kleinen norditalienischen Städtchen auf und begleitete meinen Vater – er war ein Unternehmer – jeweils auf den Markt, wo allerlei Waren gehandelt wurden. Dort hörte ich fasziniert zu, wie die Geschäftsleute über Preise, Deals und Krisen diskutierten. So entwickelte sich mein Interesse für wirtschaftliche Grundlagen und die Bedeutung von Finanzwissen für den Menschen.

Heute gelten Sie als Pionierin für Finanzkompetenz. Wie steht es um das Finanzverständnis der Jugend?
Gar nicht gut. So unterschiedlich die Länder auch sind bezüglich Bildung, Arbeitsmarkt oder Zugang zum Finanzmarkt: In Sachen Financial Literacy ist die Welt «flach». Fast in jedem Land verfügt ein sehr hoher Anteil der Bevölkerung nicht einmal über ein grundlegendes Niveau der finanziellen Bildung. In den USA beispielsweise können nur 30 Prozent der Bevölkerung eine einfache Prozent-Rechnung durchführen. Besonders schwerwiegend ist der finanzielle Analphabetismus bei den 18- bis 25-Jährigen und in der Highschool: Nur 7 Prozent der Schüler können als finanziell kompetent angesehen werden. Das ist alarmierend und gefährlich.

«Nach dem ersten Milchzahn über Geld sprechen»

Inwiefern gefährlich?
Heute müssen junge Menschen viel mehr finanzielle Entscheidungen treffen, als wir es in der Vergangenheit tun mussten. Wie kann man sparen, wie sich für den Ruhestand vorbereiten? Die Rentensysteme verändern sich und verlangen von den Jungen mehr Selbstverantwortung. Zudem sehen sie sich einem neuen wirtschaftlichen Umfeld mit komplexeren Finanzmärkten gegenüber. Wir müssen unsere Kinder mit den richtigen Fähigkeiten ausstatten, damit sie in dieser Gesellschaft bestehen können.

In welchem Alter sollten Eltern mit der Finanzausbildung beginnen?So früh wie möglich. Spätestens, wenn die Kinder den ersten Milchzahn verlieren und die Zahnfee eine Münze für die Sparbüchse unters Kissen legt. Eltern sollten mit ihren Kindern über Geld sprechen, aber erstaunlich viele tun sich schwer damit: So zögern 70 Prozent der Eltern in den USA, mit ihren Kindern Geld zu thematisieren. Diese fangen an Geld auszugeben, bevor die Eltern ihnen geholfen haben zu verstehen, wie das überhaupt funktioniert.

Wie soll man denn mit Kindern über Geld sprechen?
Es gibt viele Situationen, die sich dafür eignen. Etwa wenn Kinder von den Grosseltern einen Zustupf erhalten. Dann können wir mit ihnen darüber sprechen, dieses Geld zu sparen oder es auszugeben. Eltern können auch über die Entscheidungen sprechen, die sie selber treffen – zum Beispiel, warum sie für die Ausbildung des Kindes sparen. Wichtig ist: Machen Sie die Themen relevant, damit Kinder realisieren, warum sie sich ums Geld kümmern sollten. Und: Sprechen Sie so oft wie möglich darüber, denn Wiederholung verstärkt das Lernen.

«Taschengeld steigert die finanzielle Zuversicht»

Wie wichtig ist Taschengeld?
Sehr wichtig. Taschengeld im Kindesalter steigert die finanzielle Zuversicht im Erwachsenenalter, wie auch eine neue Studie meines Kollegen Dario Sansone zeigt. Dank Taschengeld lernen Kinder, mit Geld umzugehen und Opportunitätskosten zu verstehen. Wenn sie es für ein Glacé ausgeben, können Sie es nicht für etwas anderes brauchen. Die Erkenntnis: Du wirst keine unendlichen Ressourcen im Leben haben, sondern musst diese bedacht nutzen und gut einsetzen. Die zweite wichtige Sache, die sie damit lernen können, ist der Wert von Zeit und Geduld.

Wie?
Zusätzlich zum Taschengeld empfehle ich den Eltern dringend, den Kindern zu sagen: «Wenn du das Geld sparst, werde ich dir ein bisschen mehr geben.» Es ist sehr wichtig, Kindern beizubringen, dass Sparen wichtig ist. Dafür gibt es eine Belohnung und je länger die Zeitspanne, desto grösser die Belohnung. Das Verständnis für den Zinseszins ist essentiell. Gerade für junge Menschen, die einen langen Anlagehorizont haben.

Sollen wir die Kinder für Hausarbeiten wie Rasenmähen oder Schneeschaufeln bezahlen?
Ja. So verstehen sie, dass das Geld nicht einfach aus dem Bancomat kommt, sondern der Lohn für Arbeit ist. Und diese Arbeit erfordert Disziplin. Du musst pünktlich erscheinen und eine bestimmte Aufgabe pflichtbewusst erledigen. Ich würde den Eltern sogar empfehlen, dass sie für gute Arbeit eine höhere Belohnung bezahlen. So verstehen Kinder, dass sich gute Arbeit lohnt.

Und wie steht es mit einer finanziellen Belohnung für gute Schulnoten?
Darüber existieren verschiedene Forschungsmeinungen, mir persönlich gefällt das nicht. Die Schüler sollten verinnerlichen, dass sie die guten Noten nicht für ihre Eltern machen, sondern für sich selbst. Sie müssen verstehen, dass gute Noten mit besseren Perspektiven verbunden sind. Der Anreiz besteht also nicht in einer unmittelbaren Belohnung, sondern darin, dass es in Zukunft eine höhere Belohnung gibt.

Liegt es nur an den Eltern, Finanzwissen zu vermitteln?
Nein. Sie sind wichtig, aber wenn wir das allein ihnen überlassen, werden wir eine ungleiche Gesellschaft haben. Der Schulunterreicht ist der beste Weg, Finanzwissen allen zugänglich zu machen, besonders auch ärmeren Menschen und Frauen. So wie wir vor 100 Jahren die Schulpflicht eingeführt haben, um allen Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen, sollte heute jedes Kind das Finanz-ABC in der Schule erlernen.

Portrait Lusardi 2

Annamaria Lusardi

Annamaria Lusardi (56) ist Professorin für Ökonomie und Rechnungswesen an der George-Washington-Universität sowie Gründerin und Direktorin des dortigen Global Financial Literacy Excellence Center. Die gebürtige Italienerin erforscht das Financial Literacy seit Jahren und findet besonders seit der Finanzkrise auch in der Politik Gehör. Sie ist Mitbegründerin der drei Kernfragen («The big three»), die heute weltweit als Standard zur Erforschung der Financial Literacy gelten (siehe unten).

The big three - die drei Standardfragen zum Finanzwissen

Zusammen mit Olivia Mitchell konnte Annamaria Lusardi aufzeigen, dass das Wissen über drei einfache Konzepte zentral ist, um den Menschen zu befähigen, finanzielle Entscheidungen zu treffen: die Macht des Zinsenzinses, die Funktionsweise der Inflation und die Risikodiversifikation. Dazu haben sie drei Standardfragen entwickelt:

Frage 1
Angenommen, Sie haben 100 Franken auf dem Konto, bei einem Zinssatz von 2%. Wie hoch ist der Kontostand nach fünf Jahren?

  • mehr als 102 Franken?
  • genau 102 Franken?
  • weniger als 102 Franken?
  • weiss ich nicht

Frage 2
Der Zinssatz auf dem Konto beträgt 1%, und die Inflationsrate liegt bei 2%. Können Sie, wenn Sie wollen, mit dem auf dem Konto liegenden Geld nach einem Jahr ...

  • ... mehr kaufen als jetzt?
  • ... genau so viel kaufen wie jetzt?
  • ... weniger kaufen als jetzt?
  • ... weiss ich nicht

Frage 3
Der Kauf einer einzelnen Aktie ist in der Regel weniger riskant als der Kauf eines Aktienfondsanteils. Diese Aussage ist ...

  • ... richtig
  • ... falsch
  • ... weiss ich nicht

 

 

 

 

 

Lösungen
Frage 1:   mehr als 102 Franken
Frage 2:   weniger kaufen als jetzt
Frage 3:   falsch

Das könnte Sie auch interessieren

Menschen

«Ich habe zwei Euro Schulden bei Papa»

Mehr lesen

Ratgeber

Mein Geld geht arbeiten: die zehn besten Anlagetipps

Mehr lesen

Ratgeber

Berufliche Vorsorge: Das ändert sich mit Kindern

Mehr lesen