Wenn im November die Blätter von den Bäumen fallen, fallen auch die Preise. Singles Day, Black Friday, Cyber Monday – Sonderangebote, so weit das Auge reicht. Doch wie selbstbestimmt entscheiden wir, was gekauft wird? Häufig landen Produkte im Einkaufswagen, die wir gar nicht brauchen. Ein Gespräch mit dem Wirtschaftspsychologen Christian Fichter.

Die Jagd auf Schnäppchen ist eröffnet. Einige verfallen sogar in eine Art Ekstase und gehen auf ausgedehnte Shoppingtouren. Weshalb lassen wir uns von Tiefstpreisen und Sonderangeboten in den Bann ziehen? 

Das liegt quasi in unseren Genen. Schon seit zehntausenden von Jahren sind wir so programmiert und dieser Jagdtrieb hat auch unser Überleben gesichert. Wir sind darauf angelegt, Chancen zum Aneignen von Ressourcen zu nutzen – und zwar schnell und ohne lange zu überlegen. Denn wenn wir die Ressource nicht nutzen, bekommt sie jemand anders. Heute ist es nicht mehr der Säbelzahntiger in der Savanne, den es zu jagen gilt, sondern das Sonderangebot im Onlineshop, das nur für einen begrenzten Zeitraum und in begrenzter Menge zur Verfügung steht. Dieses Verhaltensprogramm läuft automatisch ab, sobald eine dafür geeignete Situation in unserem Leben auftaucht. 

Blöd nur, dass bei der Schnäppchenjagd öfters auch Dinge im Einkaufskorb landen, die wir gar nicht unbedingt brauchen. Bewusst wird uns dies dann meist erst im Nachhinein, wenn wir schon dafür bezahlt haben. 

Tatsächlich funktionieren unsere vorhin erwähnten Verhaltensprogramme nicht fehlerfrei. Auf der Jagd nach Schnäppchen muss man schnell sein. Das Programm muss dementsprechend schnell aktiviert werden, sonst ist die Ressource weg. Unser Verhaltensprogramm ist so kalibriert, dass es auch mal einen falschpositiven Ausschlag geben kann: Ich kaufe etwas, ich jage etwas, das ich schlussendlich nicht brauche. Nicht sehr angenehm, doch aus evolutionär-psychologischer Sicht, also aus Sicht von dem, der überleben muss, dennoch sinnvoll. Dieses Programm hat nicht umsonst seit zehntausenden von Jahren überlebt. Und funktioniert heute noch genau gleich wie früher.

Wir sind darauf angelegt, Chancen zum Aneignen von Ressourcen zu nutzen – und zwar schnell und ohne lange zu überlegen. Dieses Verhaltensprogramm läuft automatisch ab, sobald eine dafür geeignete Situation in unserem Leben auftaucht.

Häufig hört man auch, Shoppen sei entspannend und mache happy. Ist das nachweisbar, also werden bei der Schnäppchenjagd tatsächlich Glückshormone ausgeschüttet? 

Natürlich! Unsere Programme müssen gewisse Anreizstrukturen beinhalten. Denn ohne Anreize, ohne ein Gefühl der Belohnung, würden wir anders handeln – oder gar nicht handeln. Nach einer erfolgreichen Jagd schüttet das Gehirn Botenstoffe aus, welche signalisieren: «Ich habe etwas Gutes gemacht.» Sobald diese Emotionen etwas abkühlen, kommt das langsamere Denksystem wieder zum Zug. Dann merkt man, wenn das Gekaufte doch nicht so toll ist, wie man dachte, oder dass man es gar nicht wirklich braucht.

… und spätestens dann merkt man wohl auch, dass man bei der Schnäppchenjagd nicht etwa Geld gespart, sondern sogar Geld aus dem Fenster geworfen hat.

Ja, das ist leider so. Wir haben zwar diese Verhaltensprogramme, die in gewissen Situationen durchaus hilfreich und sinnvoll sind. Doch sie sind nicht dazu geeignet, sich in der heutigen Welt fehlerfrei zu bewegen. Glücklicherweise haben wir ja auch noch das rationale Denken. Dieses ist zwar langsamer und anstrengender als der Jagdinstinkt, doch durchaus in der Lage, uns vor Fehlkäufen zu bewahren. Denn das analytische Denken ist sowohl in der Lage, unser Jagdverhalten im Nachgang zu analysieren, als auch dafür zu sorgen, dass es schon gar nicht erst zu Fehlern kommt. Da gibt es eine Reihe von Massnahmen, die wir treffen können, um uns nicht von Sonderangeboten in Versuchung führen zu lassen. 

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Christian Fichter

Prof. Dr. Christian Fichter leitet das Institut für Wirtschaftspsychologie und ist Forschungsleiter an der Kalaidos Fachhochschule in Zürich. Er berät Unternehmen und Organisationen in wirtschaftspsychologischen Fragen und beantwortet die Fragen des Lebens mit psychologischem Wissen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konsum, Mobilität, Image, soziale Kognition sowie evolutionäre Grundlagen des wirtschaftlichen Verhaltens.

Von welchen Massnahmen sprechen wir da? 

Von der Situationsanalyse: sich in die Situation hineinversetzen und fragen, was da gerade abläuft. Das ist sehr wertvoll, denn dadurch kann man sich bewusst werden, welche Mechanismen wann aktiv sind. Beispielsweise bei der Schnäppchenjagd: Es geht darum, sich bewusst zu werden, dass wir ein schnelles, emotionales, impulsives System haben: unser Jagdsystem. Auf der anderen Seite haben wir auch das rationale System, das eher langsam, vernünftig und kontrollierend ist. Sich bewusst zu machen, dass diese beiden Systeme uns tagtäglich beeinflussen, ist der Schlüssel zu gezielterem Handeln. Denn in praktisch jeder Situation gilt: Wenn wir uns zu sehr von unseren Instinkten leiten lassen, also gleich losbrüllen oder Gas geben, führt das meist zu keinem guten Ergebnis. Dasselbe gilt für die Schnäppchenjagd. 

Welche Strategien helfen sonst noch? 

Eine sehr einfache und doch sehr hilfreiche Strategie ist es, sich eine Einkaufsliste zu machen, mit dem, was man wirklich braucht. Egal ob dies ein Rahmbläser, ein Flatscreen oder ein neuer Pullover ist. An diese Liste hält man sich. Bei der Schnäppchenjagd wird dann nur zugeschlagen, wenn der angebotene Artikel genau mit den vorher definierten Parametern übereinstimmt. Wenn ich dann etwas kaufe, das auch auf meiner Liste steht, sind die Belohnung und die Freude darüber doppelt so schön.  

Eine sehr einfache und doch hilfreiche Strategie ist es, sich eine Einkaufsliste zu machen, mit dem, was man wirklich braucht. Bei der Schnäppchenjagd wird dann nur zugeschlagen, wenn der angebotene Artikel genau mit den vorher definierten Parametern übereinstimmt.

Das mit der Liste ist sicher eine hilfreiche Strategie. Kann es auch helfen, wenn ich statt mit elektronischem Geld alles in bar bezahle? 

Tatsächlich ist der sogenannte Bezahlschmerz grösser, wenn man bei seinen Einkäufen Bargeld aus der Hand gibt. Allerdings verschwindet das Bargeld immer mehr. Gerade die jüngere Generation bezahlt fast nur noch elektronisch. Ausser an einigen Fotoautomaten oder auf dem Bahnhof-WC, da wird noch mit Münzen und Noten bezahlt. Für Händler sind die elektronischen Bezahlsysteme so oder so interessant. Das elektronische Geld wird leichter ausgegeben als das Bargeld. Denn beim elektronischen Bezahlen fällt die Verbindung zwischen dem Preisschild und dem Fakt, dass ich dafür Ressourcen, nämlich Geld, weggeben muss. Konsumenten sind viel leichter gewillt, Geld auszugeben. 

Also wäre das vermehrte Bezahlen mit Bargeld so oder so eine gute Strategie, um generell weniger Geld auszugeben – vor allem auch für Dinge, die man gar nicht braucht? 

Das ist tatsächlich eine Methode, die helfen könnte. Denn selbst wenn man sich bewusst ist, dass das emotionale System einen zu Fehlkäufen verleiten kann, passiert es, dass man Dinge kauft, die man schlussendlich gar nicht braucht. Ich kenne das auch von mir selber. Ein Trick, der helfen kann: Bevor ich etwas kaufe, frage ich mich: «Wie würde meine Frau auf diesen Kauf reagieren?» Wenn ich dann vor meinem geistigen Auge sehe, wie sie den Kopf schüttelt, kaufe ich eher nicht. Wenn ich hingegen vor meinem geistigen Auge sehe, wie sie mich für das erbeutete Schnäppchen lobt, kaufe ich das Produkt eher. 

Wir kennen das auch aus dem Coaching: Eine Situation aus den Augen einer anderen Person bewerten zu lassen, hilft uns dabei, diese Situation – in diesem Fall den Kauf eines Schnäppchens – aus einer anderen Perspektive zu betrachten. So werden wir nicht nur von unseren Emotionen geleitet. Was auch hilft gegen Fehlkäufe am Black Friday und am Cyber Monday: An diesen Tagen weder ins Einkaufscenter gehen noch Onlineshops besuchen. So setzt man sich diesen Reizen gar nicht erst aus und spart dadurch garantiert auch viel Geld. 

Sparstrumpf statt Schnäppchenjagd?

Langfristig gesehen ist Sparen sicher die beste Option. Welche Strategien sind dafür geeignet und wie geht man am besten vor? Wir beraten Sie gerne und zeigen Ihnen Möglichkeiten zum erfolgreichen Sparen und Anlegen auf.

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