Menschen ab 55 sind in der Schweiz trotz einer mehrheitlich passiven Personalpolitik von Unternehmen stärker in den Arbeitsmarkt integriert als noch vor zehn Jahren. Dennoch ist die Angst vor den Folgen eines Jobverlusts gegen Ende des Erwerbslebens weit verbreitet und beeinflusst die Diskussion um ein höheres Rentenalter, wie die neue Studie «Länger leben, länger Arbeit geben» von Swiss Life zeigt.
Sonnen- und Schattenseiten des Arbeitsmarkts 55+
Allen Unkenrufen zum Trotz zeigt sich der Arbeitsmarkt für ältere Erwerbstätige mehrheitlich von der Sonnenseite. Ein stetig wachsender Anteil der 55- bis 64-Jährigen ist erwerbstätig und diese Altersgruppe macht einen immer grösseren Prozentsatz an allen Arbeitskräften aus. Ältere Erwerbstätige fühlen sich im Betrieb mehrheitlich wertgeschätzt, finanziell selbstbestimmt und sind mit ihrer Arbeitssituation zufrieden. Dennoch gibt es Schattenseiten. Zwar ist die Erwerbslosenquote ab 55 etwas tiefer als jene in jüngeren Altersgruppen, da die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, mit zunehmendem Alter sinkt. Allerdings hat die Arbeitslosigkeit am Ende des Berufslebens schwerwiegendere Folgen. Verliert man den Job, sinken die Chancen nach 50, wieder eine neue oder eine gar vergleichbare Stelle zu finden. Dies hat nicht nur Einkommenseinbussen für die Zeit der Erwerbslosigkeit zur Folge, sondern oft auch eine verminderte finanzielle Selbstbestimmung im Ruhestand.
Insgesamt scheiden gemäss unseren Schätzungen etwa 6% bis 7% der Bevölkerung aufgrund fehlender Arbeitsnachfrage zwischen dem 55. Altersjahr und dem ordentlichen Rentenalter unfreiwillig frühzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Das ist zwar eine Minderheit und daher kein Indiz für eine breite und systematische Abdrängung älterer Erwerbstätiger in den unfreiwilligen Ruhestand. Aber die Zahl ist doch hoch genug, dass sich viele vor den Folgen eines Stelleverlusts am Ende des Berufslebens fürchten. Nur ein Viertel der 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen rechnet z. B. damit, im Falle eines Jobverlusts wieder eine vergleichbare Stelle zu finden. Und dies hat politische Konsequenzen: Je sicherer der eigene Job wahrgenommen wird, desto grösser ist bei 55- bis 64-Jährigen die Zustimmung für eine allfällige Erhöhung des Rentenalters – und umgekehrt.
Passive Personalpolitik 55+ in Schweizer Unternehmen
Vor diesem Hintergrund haben wir rund 740 Personalverantwortliche wie HR-Fachpersonen, Geschäftsleitungsmitglieder und weitere Führungskräfte zur Personalpolitik 55+ im Unternehmen befragt. Die Befragten sind gemäss eigener Aussage zwar mehrheitlich bereit, Personen ab 55 neu einzustellen, und fördern grossmehrheitlich keine Frühpensionierungen. Ausserdem geben sie mehrheitlich an, dass Erwerbstätigkeit über das ordentliche Rentenalter hinaus im Betrieb möglich und nicht per se unerwünscht sei. 75% sagen, dass das Alter bei Stellenbewerbungen insgesamt keine Rolle spiele. Die Arbeitgebenden
sehen ältere Bewerbende in Bezug auf Erfahrung, Fachkompetenz und Loyalität überwiegend im Vorteil gegenüber jüngeren.
Jedoch ist lediglich ein knappes Drittel der Arbeitgebenden bereit, Erwerbstätige im Rentenalter neu einzustellen. Sie ergreifen nur selten aktiv Massnahmen, um Mitarbeitende dazu zu bewegen, bis zum oder über das ordentliche Rentenalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Zwar geben die befragten Arbeitgebenden mehrheitlich an, dass das Alter bei Stellenbewerbungen keine Rolle spiele. Aber immerhin 18% geben offen zu, jüngere Bewerbende zu bevorzugen. Trotz der mehrheitlich geäusserten Bereitschaft, über 55-Jährige neu einzustellen, machen diese faktisch nur 7% aller Neueinstellungen aus – bei einem Anteil von 21% aller Erwerbstätigen. Diese Untervertretung liegt zwar nicht nur in der Verantwortung der Arbeitgebenden, sondern auch daran, dass ältere Erwerbstätige nur selten bereit sind, die Stelle nochmals zu wechseln. Gleichwohl gilt das Zwischenfazit: Eine Mehrheit der Unternehmen betreibt entweder eine passive oder keine systematische Personalpolitik 55+.
Pensionierungswelle der Baby-Boom-Generation
Nur eine Minderheit der befragten Unternehmen rechnet damit, dass sich der Fachkräftemangel in den
nächsten Jahren aufgrund von Pensionierungen verschärfen wird. Viele Unternehmen unterschätzen damit wohl den bevorstehenden demografischen Wandel des Arbeitsmarkts. Zwar wird davor schon länger gewarnt, richtig spürbar dürfte dieser Prozess aber erst in den nächsten Jahren werden: 2030 wird es
etwa 30% mehr Pensionierungen geben als noch 2019 und 80% mehr als zur Jahrtausendwende. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs. Das Arbeitsangebot wächst bereits heute fast nur noch dank den über 55-Jährigen und dürfte im nächsten Jahrzehnt weniger als halb so stark zunehmen wie in der letzten Dekade. Entsprechend dürfte der Druck steigen, jegliches brach liegende Arbeitskräftepotenzial abzuschöpfen – also auch jenes der erwerbslosen, nicht erwerbstätigen oder unterbeschäftigten über 55-Jährigen.
Akzeptanz für höheres Rentenalter dank Überbrückungsleistungen?
Der demografische Wandel des Arbeitsmarkts wird zwar nicht dazu führen, dass Arbeitslosigkeit unter älteren Erwerbspersonen verschwindet. Jedoch können viele ältere Arbeitslose dem Ruhestand finanziell künftig etwas zuversichtlicher entgegenblicken. So sind ab Juli 2021 Überbrückungsleistungen in Kraft, die verhindern sollen, dass ältere Erwerbslose, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt misslingt, in die Sozialhilfe abrutschen. Dies dürfte die finanzielle Selbstbestimmung vieler Betroffener verbessern. Dieses neue soziale Sicherheitsnetz ist zwar relativ grobmaschig geknüpft, könnte allenfalls da und dort kontraproduktive Fehlanreize schaffen und ist daher nicht ganz unumstritten. Es könnte aber auch dazu beitragen, dass die Akzeptanz eines höheren Rentenalters zunimmt: Für fast die Hälfte jener 60% der befragten Erwerbstätigen zwischen 55 und 64, die eigentlich gegen ein höheres Rentenalter sind, würden solche Überbrückungsleistungen die Akzeptanz einer Rentenaltererhöhung vergrössern.
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