Seit Anfang 2019 ist Nils Nielsen Fussballtrainer des Frauen-Nationalteams. Mit den Spielerinnen hat er Grosses vor. Er ist überzeugt davon, dass das Team sich für die Europameisterschaft 2021 qualifizieren wird.

Was hat Sie dazu bewogen, den Job als Trainer in der Schweiz anzunehmen?
Ich wollte – nach einem Aufenthalt in China – wegen der Familie wieder in Europa leben. Die Schweiz hat mich interessiert, weil der Frauenfussball hier auf einem sehr hohen Niveau ist. Ramona Bachmann, Ana Maria Crnogorcevic und Lia Wälti gehören zu den internationalen Topspielerinnen. Ramonas Talent sah ich schon vor Jahren, als ich noch Trainer des dänischen Frauenteams war und sie bei einem Verein in Südschweden engagiert war.

In der Schweiz sind die Fussballer immer noch viel bekannter als die Fussballerinnen.
Das möchte ich gerne ändern. In Dänemark haben wir es geschafft: Bei der Frauenfussball-EM 2017 schauten 1,4 Millionen Menschen das Finale Niederlande gegen Dänemark. Heute sind die Spielerinnen Stars in ihrer Heimat. Frauenfussball ist genauso gut wie Männerfussball. Die Energie ist anders - aber wenn man sich darauf einlässt, ohne dauernd zu vergleichen, wird man schnell zum Fan.

Wie haben Sie die Fussball-WM in Frankreich erlebt, bei der die Schweizerinnen nicht dabei waren?
Das Niveau an der WM war sehr hoch. Die europäischen Teams kamen gut vorbereitet und haben dem Turnier den Stempel aufgedrückt. Sieben von acht Teams in den Viertelfinals waren Nationen, die der UEFA angehören. Und mindestens zehn weitere starke europäische Teams waren nicht einmal am Turnier dabei. Das zeigt, warum sie so stark waren und auch weshalb die Europameisterschaft noch viel härter sein wird. Das Spiel wird schneller und schneller. Jedes Team hat seine individuellen Stärken und wurde in diesen Bereichen gar noch stärker. Die Amerikanerinnen haben am Ende verdient gewonnen. Sie waren das kompletteste Team und haben auf alles eine Antwort gefunden, egal mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert worden sind.

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Nils Nielsen

Nils Nielsen, Jahrgang 1971, ist Däne und lebte als Kind auf der Ostseeinsel Aero. Er strebte eine Karriere als Fussballer an, musste aber schon sehr jung wegen eine Rückenverletzung mit dem Spielen aufhören. Er studierte Sportwissenschaften an der Universität Kopenhagen und arbeitete ab 1995 als Fussballtrainer. Bis 2013 trainierte er Männerteams (Erwachsene und Nachwuchsspieler), dann wechselte er zum dänischen Frauen-Nationalteam. Seit Dezember 2018 ist er Nationaltrainer der Schweizer Fussballerinnen.

Was ist Ihre Strategie für die EM-Qualifikation?
Es war gut, dass wir in den letzten Monaten Zeit hatten, um das Team solide aufzubauen. Wir sind nun bereit mit einem ausgewogenen Team: mit vielen jüngeren Frauen, die sich mit grossem Elan einbringen und erfahrenen Sportlerinnen, die das Spiel strukturieren und die Führung übernehmen können, wenn es mal nicht so gut läuft. Arbeiten mussten wir am Selbstbewusstsein.

Warum ist das so wichtig?
Die Spielerinnen müssen noch mehr an sich glauben und mutig sein. Ich möchte erreichen, dass sie ihre Schweizer Zurückhaltung und Bescheidenheit ablegen. Sie müssen mental stark einsteigen, um selbstbestimmt spielen zu können.

Welche Ziele verfolgen Sie langfristig?
Ich träume davon, mit dem Team Medaillen zu gewinnen und bei Heimspielen die Stadien zu füllen.

Fangen Mädchen eher zu spät mit Fussball an, weil viele vorher andere Sportarten ausprobieren?
Nein. Mehrere Sportarten zu beherrschen ist eine Stärke. Mädchen, die zuerst Gymnastik oder Skifahren auf hohem Niveau betrieben haben, bringen gute motorischen Fähigkeiten mit. Allerdings ist es wichtig, dass der Fussball attraktiv genug ist, damit sie sich in der Pubertät dafür entscheiden. Dann müssen sie voll einsteigen, wenn sie ganz nach oben wollen.
 

Viele Spielerinnen finden zum Fussball, weil ihre Väter Trainer sind. Denken Sie, dass auch Ihre Kinder eine Profikarriere machen werden?
Sie sind noch zu klein für Prognosen. Meine Frau ist Balletttänzerin und Tauchlehrerin, vielleicht gehen sie in diese Richtung. Ich bin mit allem einverstanden, solange sie Spass haben und ihr Bestes geben.

Der Unfalltod der Spielerin Florijana Ismaili in diesem Sommer hat die ganze Schweiz erschüttert. Wie geht es dem Team heute?
Was Florijana zugestossen ist, ist schrecklich! Wir werden sie natürlich sehr vermissen. Unabhängig davon wie tragisch und schlimm ein Ereignis leider ist, müssen wir als Team zusammenstehen, Leistung erbringen und gemeinsam einen Weg finden, um weiterzumachen. Die Spielerinnen, der Staff und der Verband wissen das und wir werden uns dabei alle gegenseitig unterstützen. Es ist in Ordnung, traurig zu sein, aber es ist eben auch ok zu lachen und die Gesellschaft der anderen Teamkolleginnen zu geniessen - so wie Flori dies auch immer getan hat. Jede und jeder wird schwierige und traurige Momente durchleben in diesem Zusammenzug, aber es wird auch immer jemanden geben, an dessen Schulter man sich anlehnen kann. Der Verarbeitungsprozess hat an der Abschiedsfeier begonnen und wir noch eine ganze Weile andauern. Es ist eine grosse Persönlichkeit, die uns fehlen wird. Aber wir müssen es akzeptieren und dürfen unsere Gefühle nicht verstecken. Wir müssen offen darüber sprechen, damit es nicht zu einem Tabuthema wird. Wir können Florijana nicht mehr zurückholen. Sie wird aber in unseren Erinnerungen für immer weiterleben. Wir werden sie niemals vergessen.

Welche Bedeutung hat Selbstbestimmung für Sie?
Selbstbestimmung bedeutet für mich freie Wahl und Verantwortung. Mit jeder Wahl, die du triffst, kommt auch ein Stück Verantwortung auf dich zu. Du bist verantwortlich für deine eigenen Entscheidungen. Für mich ist es sehr wichtig, dass jeder und jede selbstbestimmt handeln kann. Es ist eine Grundvoraussetzung, um sich weiterentwickeln zu können. Das gilt auch für den Fussball. Obwohl ich im Fussball mehr von Mitbestimmung als Selbstbestimmung reden würde. Alle sollen mitbestimmen können. Alle sollen sich einbringen, damit am Ende Entscheidungen getroffen werden können, die für das Team gut sind.

Auf welche Entscheidung in Ihrem Leben sind Sie besonders stolz?
Besonders stolz bin darauf, dass ich den Mut gefunden habe, etwas gehen zu lassen, das ein wichtiger Teil meines Lebens war. Ich war nicht glücklich und es war eine sehr schwere Entscheidung. Es brauch Mut, einen im Moment schmerzvollen Entscheid zu treffen, um nicht das ganze Leben lang unglücklich zu sein. Das gilt auch für den Fussball. Es ist besser, du triffst Entscheidungen, die dir im Moment weh tun, als du triffst sie nicht und bist ein Leben lang unzufrieden.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit dem Thema Vorsorge befasst?

Wenn du jung bist, kümmerst du dich in der Regel nicht allzu sehr um deine Zukunft. Wenn du aber, wie in meinem Job, befristete Verträge hast, musst du dich eher früher als später damit beschäftigen. Für mich war es immer wichtig, sicher zu stellen, dass, wenn mir etwas zustossen sollte oder ich für eine Weile keine Anstellung haben sollte, die Grundbedürfnisse meiner Familie abgesichert sind. Das ist für mich ein kleiner Preis für ein grosses Stück Sicherheit. Für mich als Trainer ist es vergleichbar mit einem Klippenspaziergang. Du kannst mit oder ohne Sicherheitsnetz einer Klippe entlanglaufen. Um ehrlich zu sein, denke ich aber nicht über meinen Ruhestand nach. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, in Pension zu gehen. So lange ich Freude an meiner Arbeit habe und anderen etwas bieten kann, mache ich weiter.
 

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