«Blechbüx» nennt Janine Klingenstein ihr kleines Minihaus liebevoll. Die St. Gallerin wohnt auf 16 Quadratmetern und geniesst ihren reduzierten Platz mit gewonnener Lebensqualität und mehr Selbstbestimmung. Wie sie sich ihren Traum vom Tiny House erfüllt hat, erfahren Sie in unserer Homestory.
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Es duftet nach frisch gebackenen Muffins im kleinen Reich von Janine Klingenstein. Hier ist die Küche gleichzeitig auch Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer und Ankleidezimmer. Erst seit kurzer Zeit lebt sie in der «Blechbüx», wie ihr Tiny House liebevoll, aber etwas untertrieben heisst. Schliesslich verfügt es über fliessendes Wasser, Strom, eine Klimaanlage, eine geräumige Dusche und, wie der Duft ankündigt, sogar einen kleinen Backofen. Janine fehlt es an nichts: «Es ist vielmehr ein Gewinn als ein Verzicht, so reduziert zu leben.»
Eigentlich hatte Janine Klingenstein den Traum vom eigenen Tiny House bereits aufgegeben. Den grossen Traum, welcher während ihres Aufenthalts auf einer Pferdefarm in Schweden entsteht und schnell konkrete Formen annimmt. Gemeinsam mit dem dortigen Besitzer skizziert sie bereits Pläne, spricht über den Bau und den Transport des Minihauses in die Schweiz. Zurück in der Schweiz merkt sie jedoch: Das wird richtig schwierig, wenn nicht unmöglich, mit einer Baubewilligung.
Sie nimmt ihr Leben gerne selbst in die Hand – lebt selbstbestimmt. Das war schon immer so. Auch in diesem Fall. Darum zieht sie nach über zehn Jahren trotzdem aus ihrer Fünf-Zimmer-Wohnung in Steinach aus und richtete sich statt in einem Tiny House in einem eigens für sie umgebauten Bus ein. Dort bleibt sie jedoch nicht lange. Als sie sich auf der «Zwischennutzung Gärtnerei» in Altstätten nach einem Stellplatz für ihren Bus erkundigt, erfährt sie, dass ein neues Tiny House unerwartet leer steht. Zwei Monate später, im Dezember 2021, zieht sie ein.
Plötzlich so viel weniger Platz zu haben, das sei ihr nicht schwergefallen: «Es tut richtig gut, Dinge loszuwerden. Und ich merke immer besser, was mir wirklich wichtig ist.» Das zeigt auch, wieso die Anzahl Kisten immer weniger wird, obwohl sie hier auf dem Areal eine Art «Kellerabteil» zur Verfügung hat. Einzig ihren vormals 66 Pflanzen trauert sie etwas nach. Einige wenige hat sie mitgenommen, der Grossteil wächst jetzt bei Freunden und Familienmitgliedern weiter.
Das reduzierte Leben sieht sie als Vorteil: «Oftmals hängen wir an Dingen, die gar nicht wichtig sind. Loslassen können erleichtert.» Die Idee vom Teilen gefällt ihr hier besonders. Man müsse nicht alles haben: Werkzeugkisten, Raclette-Ofen und Staubsauger werden hier geteilt. Und wer braucht schon regelmässig sechs Weingläser. Solche Dinge findet man hier in der für alle zugänglichen Scheune.
Auf dem Areal der Zwischennutzung Gärtnerei leben insgesamt 14 Parteien sowie zwei Laufenten, einige Katzen, Hühner und sogar Schildkröten. Alle Parteien haben ihr eigenes Tiny House so gebaut und eingerichtet, wie es für sie am besten passt. Einige arbeiten auch nur hier: Es gibt Ateliers, eine Schreinerei, eine Velowerkstatt, ein Café und einen kleinen Laden. «Es ist wie eine grosse WG, man trifft sich abends gerne am Feuer oder kocht etwas zusammen.»
«Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.»
Diese Worte von Pippi Langstrumpf begrüssen die Besucherinnen und Besucher beim Betreten der Zwischennutzung Gärtnerei in Altstätten.
Janine hat Quadratmeter aufgegeben, aber am neuen Wohnort viel Lebensqualität dazugewonnen – auch beeinflusst durch die anderen Menschen, die hier wohnen. Es sind Menschen, welche ähnliche Ideen und Werte wie sie selber leben. Sie fühlt sich bereits nach kurzer Zeit gut eingebettet und bereichert von so vielen ideenreichen Nachbarinnen und Nachbarn. Von der Gemeinschaft fühle sie sich nicht abhängig, im Gegenteil: «Die Menschen hier inspirieren und ermutigen mich, nach meinen eigenen Vorstellungen zu leben. Sodass ich plötzlich Dinge anpacke, die ich mich vorher noch nicht gewagt habe.»
Mit drei Geschwistern aufgewachsen, muss sie früh für sich selber einstehen. Sie reist in zahlreiche Länder, oft auch alleine, arbeitet im Ausland und kümmert sich immer selber um Finanzen und Haushalt. Auch im Beruf entscheidet sie sich bewusst immer wieder für Wechsel: Als gelernte Floristin leitet sie ein Team, bildet Lernende aus, nimmt Prüfungen ab. Beginnt anschliessend nochmals ein Studium und leitet heute als Sozialpädagogin eine Tagesschule. Und den Wunsch der Selbstständigkeit erfüllt sie sich vor dreieinhalb Jahren auch. Im Nebenerwerb berät sie mit ihrer eigenen Firma Klingengrün Privatpersonen und Unternehmen rund um die optimale Pflanzenpflege. «Selber wirken zu können, das ist ein schönes Gefühl.»
Die zeitlich beschränkte Zwischennutzung bereitet der frischen Hausbesitzerin keine Sorgen. Das Haus ist transportabel und könnte auch anderswo hingestellt werden. Diese Idee gefällt der reisefreudigen Janine sogar ganz gut. Zurück in eine grosse Wohnung ist für sie zurzeit kein Thema, zu glücklich ist sie mit dieser Wohnform – einzig die Nähe zum Wasser fehlt ihr manchmal. Dann beginnen ihre Augen zu leuchten. Sie greift zu einem Buch im kleinen Regal und zeigt ein darin abgebildetes Hausboot: «Selber noch ein Tiny House nach meinen eigenen Vorstellungen zu bauen, das wär’s.»
Janine Klingenstein
Die St. Gallerin ist in Steinach aufgewachsen und war aufgrund ihrer vielen Reisen im Dorf schon immer die Exotin. Ihrem individuellen Lebensstil bleibt sie bis heute treu. Nach über zehn Jahren in einer Fünf-Zimmer-Wohnung in direkter Nähe zum Bodensee zog sie Ende 2021 nach Altstätten in ein 16 Quadratmeter kleines Tiny House auf der Zwischennutzung Gärtnerei. Tagsüber leitet sie als Sozialpädagogin eine Tagesschule und kümmert sich daneben mit ihrer eigenen Firma Klingengrün um die optimale Pflanzenpflege bei Privatpersonen und Unternehmen vor Ort. Nebst regelmässig längeren Reisen ist sie auch in der nahen Gegend gerne und oft unterwegs: mit ihrem voll ausgestatteten Bus, auf Skiern im Schnee mit ihrem Partner oder mit Freunden beim geselligen Beisammensein.
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Bildquelle: Philip Brand