Spitzengastronomie ist ein Knochenjob und Frauen sind dort noch immer die Ausnahme. Mit 19 Gault-Millau-Punkten und 2 Michelin-Sternen gehört Tanja Grandits vom Restaurant «Stucki» in Basel zu den besten Köchinnen der Welt. Ein Gespräch über Selbstbestimmung in der Küche, den vegetarischen Boom und den religiösen Kult um das Essen.
Sie wurden letztes Jahr zum Schweizer «Koch des Jahres» gewählt. Dann kam Corona. Statt Rekordjahr ein wirtschaftliches Desaster?
Wir waren bis im Mai ausgebucht, als Mitte März der Lockdown kam – das war schon hart. Aber unter dem Strich sind wir dank eines hervorragenden Sommers glimpflich davongekommen. Ich habe versucht, das Beste aus diesem Jahr zu machen. Im Lockdown stand ich neun Wochen lang in unserem kleinen Laden neben dem Restaurant, kochte Take-away-Menus und es kam zu schönen Begegnungen mit Menschen aus der Nachbarschaft, die noch nie bei uns zu Gast waren. Daneben habe ich mein neues Kochbuch fertig gemacht.
Sie haben die Auszeichnung bereits 2014 gewonnen – als erste Frau in der Geschichte. Empfinden Sie Ihre Erfolge auch als Sieg für die Gleichberechtigung?
Aufgrund der Reaktionen realisiere ich, dass ich für viele Frauen ein Vorbild bin. Aber ganz ehrlich: Ich bin nicht der Typ, der durchs Leben geht und sich denkt, ich habe ein Handicap, weil ich eine Frau bin oder klein bin oder aus Süddeutschland stamme. Ich habe mich auch nie beruflich benachteiligt gefühlt. Mein Motto lautet: «Nicht jammern, sonst bleibt man stehen». Ich mach einfach, was ich mag. Das war für mich immer selbstverständlich.
Woher stammt dieser Wille zur Selbstbestimmung?
Den hatte ich schon als Kind. Ich habe ein grosses Urvertrauen, lebe ganz im Moment und bin zufrieden mit dem Leben. Ich bin mit viel Freiheit aufwachsen. Meine Mutter hat mich geliebt, wie ich war. Sie liess mich stets machen und hat mich ermutigt, neue Dinge auszuprobieren.
Sehr eigenständig ist auch Ihre Küche, für die Sie sogar den eigenen Begriff «Aroma-Küche» erfunden haben. Wie würden Sie Ihren Stil umschreiben?
Das Handwerk – die Art wie wir die Fonds zubereiten oder die Saucen – ist klassisch französisch. Die Küche ist eher leicht, mit Einflüssen aus verschiedenen Weltregionen und ganz wichtig sind die Gewürze, die Kräuter – oder eben die Aromen. Ich liebe starke Aromen, ich mag volle, runde Geschmäcker und ich mag Salz.
Auch optisch sind Ihre Gerichte besonders. Jeder Gang besteht aus einem einzigen Farbton. Weshalb sind Farben so wichtig für Sie?
Es erzeugt Harmonie und der Geschmack kommt besser zur Geltung. So schmecken etwa alle gelben Sachen fantastisch zusammen, zum Beispiel Aprikose, Buttermilch, Kamille – eine himmlische Kombination.
Sie wuchsen in einfachen Verhältnissen mit schwäbischer Hausmannskost auf, wo «eher zu viel gegessen wurde, vor allem Wurst und Speck, Fettiges und Schweiniges». Ihr neues Kochbuch heisst «Tanja vegetarisch». Sind Sie konvertiert?
Nicht radikal. Aber für meine Tochter Emma und mich koche ich schon seit vielen Jahren praktisch nur vegetarisch. Nicht primär aus Überzeugung, aber weil es uns am besten schmeckt.
Welches Gemüse ist am vielseitigsten?
Spinat. Er schmeckt als Salat, als Suppe, aber auch als Füllung für Ravioli oder als Feta-Spinat-Torte. Und wenn man mal keine Zeit hat, lässt er sich auch sekundenschnell zubereiten: Den Spinat in brauner Butter und Knoblauch kurz andämpfen, etwas Sesamöl drüber – schon fertig. Köstlich.
Wird die fleischlose Küche auch in der Spitzengastronomie zum «New Normal»?
Soweit würde ich nicht gehen. Aber Tatsache ist: Die Pandemie hat zu einem vegetarischen Schub geführt. Wurde bei uns früher ein vegetarisches Menü pro Abend bestellt, so sind es heute fünf oder mehr. Den Menschen wurde im Lockdown bewusster, wie wichtig frisches, gesundes Essen für das Wohlbefinden ist und sie hatten mehr Zeit zum Kochen. Laut Statistik wurden in der Schweiz bis zu 30 Prozent mehr Gemüse gekauft. Zudem förderten die Fleischereiskandale das Bewusstsein für die schreckliche Massentierhaltung. Das alles befeuert den vegetarischen Boom.
Spitzengastronomie ist ein Hochleistungssport und je höher die Bewertung, desto höher scheint der Druck. Quält Sie die permanente Angst, abgestuft zu werden?
Klar gibt das Druck, aber ich kann gut damit umgehen. Ich lebe ganz im Jetzt und verschwende keinen Gedanken darüber, etwas verlieren zu können. Ich will meine Freude am Essen weitergeben und die Menschen inspirieren.
Verliert man ein Stück weit seine kreative Unabhängigkeit, weil man gewissen Trends folgen muss?
Nicht wirklich. Trends sind auch sehr rasch wieder vorbei. Ich koche nicht plötzlich ultraregional, weil das alle tun. Natürlich sind auch bei mir die meisten Zutaten regional, aber ich möchte nicht auf Ingwer verzichten, oder auf Limetten oder Olivenöl. Ich serviere auch bloss ein einziges Amuse-Bouche und nicht gleich ein halbes Dutzend, wie es vielerorts zur Mode geworden ist. Wer vor dem eigentlichen Menü zu viel isst, kann sich gar nicht mehr richtig auf die vielen Geschmackskombinationen einlassen, die noch kommen.
Der militärische Begriff «Küchenbrigade» drückt es schon aus: Küchenteams gelten als streng hierarchisch und straff organisiert. Wie viel Selbstbestimmung bleibt eigentlich Ihren zwei Dutzend Mitarbeitenden?
Meine Rolle ist eher Cheerleader als Boss. Natürlich gebe ich die Richtung vor, aber ich sehe uns mehr als Familie und glaube an Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Meine engsten Mitarbeitenden sind Koryphäen auf ihrem Gebiet und ich lasse ihnen viel Freiraum. Der Lohn: Sie bleiben mir treu. Mit Küchenchef Marco Böhler arbeite ich schon seit zwölf Jahren zusammen.
Sie haben einst ein Chemiestudium begonnen und erst mit 26 die Kochlehre beendet. Nun sind Sie seit 20 Jahren selbständig. In dieser Zeit ist ein regelrechter Kult um das Essen entstanden: Noch nie wurde so viel darüber diskutiert, gepostet, gelikt.
Ein perfektes Timing! Das Interesse ist wirklich enorm und natürlich profitieren wir davon. Führt diese Entwicklung dazu, dass weniger Junkfood gegessen wird und sich die Menschen gesünder und experimentierfreudiger ernähren, dann ist das grossartig. Beunruhigend ist jedoch, wenn das Thema Essen zu einem Minenfeld wird. Für viele driftet es ins Religiöse ab.
Inwiefern?
Die Kulinarik wird teilweise massiv erhöht und manchen geht es nur noch um das Optimieren des Körpers. Aber wenn wir vor lauter Dogmen und Verboten auf wichtige Nährstoffe verzichten, dann ist das nicht nur ungesund: Es geht auch das Wichtigste am Essen verloren – der Genuss.