Valérie Vuillerat ist eine Führungsfigur in der IT-Branche und überzeugt: Diversität steigert den Gewinn. Deshalb hat sie ein aussergewöhnliches Startup gegründet.

Was bedeutet Erfolg für Sie?
Ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen in dem ich meine Ideen umsetzen kann und eine Wirkung erziele. Deshalb fasziniert mich die Diversität. Sie ist gesellschaftlich so wichtig, dass ich sie aktuell zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe. Einen Beitrag zur Veränderung zu leisten macht für mich Sinn.

Als Mitgründerin der Firma Witty Works unterstützen Sie Unternehmen, attraktiver für Frauen zu sein. Wieso ist das ein Geschäftsmodell?
Es wäre besser, wenn es keines wäre. Fakt ist, dass wir die bestausgebildete Generation von Frauen in der Geschichte haben. Trotzdem sind Frauen in Führungsfunktionen untervertreten. Gleichzeitig sagen viele Firmen, sie wollen diverser sein. Doch sie wissen nicht, wie sie das erreichen. Oder sie pushen zwar das Thema, weil es ein Trend ist und sich bestens fürs Marketing eignet. Echte Veränderungen sind jedoch nicht ohne tiefgreifende Prozesse herbeizuführen. Hier setzt Witty Works an und unterstützt Firmen, Diversität zu rekrutieren und Inklusion tatsächlich zu realisieren.

Welche Faktoren sind für Frauen - im Unterschied zu Männern - eher relevant?
Für Frauen sind Identifikation, Wirkung und Sinnhaftigkeit sowie die Zusammenarbeit viel wichtiger als Rolle und Titel. Und auch wenn es keine spezifische Frauen-, sondern eine Elternthematik ist: bei Geschlechterfragen kommt immer auch das Familienthema auf. Hier ist Flexibilität wichtig, beispielsweise eine vorübergehende Reduktion des Arbeitspensums - ohne den Verlust von Entwicklungsmöglichkeiten.

Witty Works setzt beim Bewerbungsprozess an. Weshalb reicht es nicht, einen Job für alle Geschlechter gleich auszuschreiben?
Das beginnt bereits beim Lesen und Interpretieren eines Stelleninserats, das in der Regel eine Liste mit vielen Anforderungen enthält. Studien zeigen: Frauen bewerben sich erst, wenn sie sich sicher sind, 90 bis 100 Prozent der Anforderungen zu erfüllen. Ein Mann hingegen sagt sich, das werde er schon können oder noch lernen und bewirbt sich auch dann, wenn er nur 50 Prozent der geforderten Kompetenzen mitbringt.

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Meine finanzielle Situation zu kennen ist für mich elementar, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Wie bewerben sich Frauen eher?
Heute sind 74 Prozent der Inserate auf dem Arbeitsmarkt männlich konnotiert mit Formulierungen wie “Gesucht wird ein effizienter, analytischer und kompetitiver Sales-Manager”. Das sind Frauen alles auch, aber man hat bei solchen Begriffen unbewusst einen Mann vor Augen. Deshalb müssen Inserate so formuliert sein, dass sie auch Frauen ansprechen: mit geschlechtsneutralen Titeln und Formulierungen, flexiblen Pensen und einer Anforderungsmenge, die nicht als unnötige Barriere wirkt.

Sie argumentieren, dass geschlechtergemischte Teams erfolgreicher sind. Wieso?
Wenn die Diversität über alle Stufen und Bereiche gut verteilt ist, hat sie einen positiven Einfluss auf Innovation und Gewinn. Wenn ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Perspektiven, Hintergründen und Ausbildungen an ein Problem herangehen, entsteht die bessere Lösung, das kundenorientiertere Angebot.

Wie gelingt der Wandel hin zu einer Kultur der Vielfalt?
Wer Diversität im Unternehmen tatsächlich erreichen will, muss die vorhandene Einstellung grundlegend ändern. Es reicht nicht, ein Inserat umzuschreiben und flexible Arbeitszeiten- und -orte zu ermöglichen. Führungskräfte müssen sich ihrer Privilegien bewusst sein und diese hinterfragen: was müssen wir tun, um unsere Kultur so zu verändern, dass sich alle wohl und sicher fühlen bei der Arbeit? Der Kulturwandel gelingt nicht ohne das Teilen von Macht und Status.

Scheiterten Sie in Ihrer eigenen Karriere auch gelegentlich an veralteten Strukturen?
Als Unternehmerin und Geschäftsführerin merkte ich immer wieder, dass man mir weniger zutraut als männlichen Mitbewerbern auf dem Markt. Bis heute ist es für mich schwieriger im Verkauf zu zeigen, welche Kompetenzen und Erfahrungen vorhanden und was sie wert sind. Das ist manchmal ein riesen Frust.

Wie gehen Sie damit um?
Immer gut vorbereitet und parat sein, die eigenen Kompetenzen deutlicher aufzeigen, als es ein Mann muss. Und wenn der Preis unter die eigene Grenze gedrückt wird, dann muss man mutig sein und es bleiben lassen.

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Ich rate jeder Frau, immer auch trotz Heirat und Familie weiterzuarbeiten. Eigenes Geld zu verdienen fördert das Selbstvertrauen und hilft unabhängig zu bleiben.

Was bedeutet für Sie Selbstbestimmung?
Jederzeit frei zu entscheiden, was ich im Leben mache. Als Unternehmerin bin ich selbstbestimmt. Ich entscheide, wie und für wen ich arbeite, bin nicht abhängig von Aktionären und man kann mir auch nicht kündigen. Das ist nicht einfacher, aber ich bin freier.

Als Unternehmerin tragen Sie finanzielle Risiken. Wie schultern Sie diese?
Die Risiken sind für mich überschaubar. Ich habe nach der Gründung unseres Startups meine Fixkosten aufs Minimum reduziert und meinen Lebensstandard entsprechend angepasst. Mein Lohn setzt sich aus verschiedenen Mandaten zusammen, ich habe kein Klumpenrisiko und das erlaubt mir auch weiterhin in unser Startup zu investieren.

Sparen ist hierzulande zwar eine Tugend, doch eine Mehrheit der Frauen überlassen die Finanzplanung dem Mann. Wie handhaben Sie das Thema Vorsorge?
Ich brauche nicht viel finanzielle Sicherheit. Allerdings wurde das Thema Vorsorge für mich vor der Geburt meines Sohnes wichtig. Ich hatte die Gelegenheit in Immobilien zu investieren. Meine finanzielle Situation zu kennen ist für mich elementar, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Was raten Sie Frauen, wie sie mit dem Thema Lohn und Geld umgehen sollen?
Ich rate jeder Frau, immer auch trotz Heirat und Familie weiterzuarbeiten. Eigenes Geld zu verdienen fördert das Selbstvertrauen und hilft unabhängig zu bleiben. Man weiss schliesslich nie, was im Leben passieren wird. Ausserdem ist es wichtig für später, regelmässig AHV- und BVG-Beiträge einzuzahlen. Mit einem eigenen Lohn wird das möglich. Ebenso sollte jede Frau ihre eigenen Konten und ihr eigenes Geld behalten. Besser ist es, gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin ein zusätzliches Konto für Gemeinschaftsausgaben zu eröffnen.

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Valérie Vuillerat (Jahrgang 1977) ist in Bern aufgewachsen, wo sie die Matura und die Ausbildung zur Multimedia-Designerin absolvierte. Mit 22 Jahren machte sie sich selbstständig und war in den folgenden Jahren an der Gründung und dem Aufbau von mehreren Digitalfirmen beteiligt. Später war sie unter anderem sechs Jahre Geschäftsführerin einer führenden Digitalagentur. Heute ist sie als Beraterin, Verwaltungsrätin und Lead Dozentin sowie als Co-Inhaberin des Startups Witty Works engagiert. Sie hat einen Sohn und lebt in Zürich.

Bilder und Videos: Giorgia Müller
Text: Simon Eppenberger

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