Oft kommt die Frau eine Scheidung teuer zu stehen: Sie hat im Alter zu wenig Geld in der Vorsorge. Rechtsanwältin Eliane Benjamin sagt, worauf es vor, während und nach der Ehe ankommt.

Rund 40 Prozent der Ehen gehen heutzutage in die Brüche. Das hat für viele Frauen negative Konsequenzen für ihre Altersvorsorge. Trotzdem hat sich laut der aktuellen Studie von Swiss Life lediglich gut ein Fünftel der befragten Frauen ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt. Fast die Hälfte hat sich kaum oder gar nicht damit beschäftigt. Frau Benjamin, wie lässt sich aus Ihrer Erfahrung als Anwältin für Familienrecht erklären, dass sich bei der Scheidung nur wenige Frauen ernsthaft mit ihrer Vorsorge auseinandersetzen?
Eine Scheidung ist immer sehr emotional. Dabei steht für viele Frauen das Jetzt im Vordergrund: Fragen rund um Kinder oder das gemeinsame Wohneigentum. Die Altersvorsorge ist eine sehr komplexe Materie und liegt für viele weit in der Zukunft. Zudem gibt es beim Thema Geld häufig eine Rollenverteilung, wonach sich die Frau eher um die Kinder und der Mann um die Finanzen kümmert.

Was sieht das Gesetz für die Altersvorsorge der Frau vor, wenn sich die Ehepartner scheiden lassen?
Grundsätzlich ist die hälftige Teilung der Gelder vorgeschrieben. Das betrifft die Vorsorgegelder, die während der Ehe gebildet wurden – unabhängig davon, welcher Ehegatte diese erwirtschaftet oder einbezahlt hat. Dieses Prinzip der hälftigen Teilung wird in der staatlichen Vorsorge der 1. Säule, der beruflichen Vorsorge der 2. Säule sowie der privaten Vorsorge der 3. Säule anders umgesetzt.

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Wieso kommt es trotz dieser Teilung bei sehr vielen Frauen zu Lücken bei der Altersvorsorge? Schliesslich sieht das Gesetz zusätzlich einen Vorsorgeunterhalt für jenen Elternteil vor, der die Kinder betreut.
Meistens sind die Mütter für den Grossteil der Kinderbetreuung zuständig und entsprechend nicht oder mit einem niedrigen Teilzeitpensum erwerbstätig. Bei der Scheidung erhalten viele Frauen keinen Vorsorgeunterhalt oder können trotz Vorsorgeleistungen des Ex-Partners nicht fürs Alter sparen, da Ende Monat kaum oder gar kein Geld übrig ist.

Wieso fehlt das Geld?
Der häufigste Grund dafür sind tiefe Einkommen und die höheren Kosten von zwei Haushalten nach der Scheidung.

Inwiefern stellt eine Scheidung insbesondere für Frauen ein Vorsorgerisiko dar?
Kümmert sich die Frau während der Ehe jahrelang ausschliesslich um die Kinder, kann sich die Vorsorgesituation durch die Scheidung markant verschärfen. Ab Einreichung der Scheidungsklage bzw. der Scheidungsvereinbarung beim Gericht partizipiert die Frau nicht mehr am Altersguthaben in der 2. Säule des Ehemannes. Steht die Frau dann alleine und ohne Arbeit da, fehlen die Beiträge für die Vorsorgeeinrichtungen und das Risiko ist hoch, bei der Pensionierung mit grossen Vorsorgelücken konfrontiert zu sein. Auch ein tiefes Arbeitspensum über längere Zeit nach der Scheidung reicht in der Regel nicht, um für das Alter noch genug ansparen zu können.

Eliane Benjamin sitzt auf einem Sofa und liest ein Buch

Eliane Benjamin (1985) ist Rechtsanwältin und spezialisiert auf das Familien- und Arbeitsrecht. Sie ist im aargauischen Lengnau aufgewachsen, ging in Baden in die Kantonsschule und studierte an der Universität Zürich und am Chicago-Kent of Law Rechtswissenschaften. 2014 erwarb sie das Anwaltspatent und bildete sich u. a. als Mediatorin weiter. Seit 2017 ist sie bei Voser Rechtsanwälte in Baden tätig. Sie hat einen einjährigen Sohn. Mit ihrem Mann teilt sie sich Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung hälftig auf.

Wenn sich eine Frau erst bei der Scheidung mit der Vorsorge beschäftigt, ist es dann zu spät?
Zentral ist die Aufgabenverteilung während der Ehe. Eine Frau sollte sich bewusst sein, dass sie ausser im Falle sehr guter finanzieller Verhältnisse spätestens nach einer allfälligen Scheidung ein eigenes Einkommen braucht, um eine vernünftige Altersvorsorge aufbauen zu können. Darüber sind sich die wenigsten im Klaren, die sich ganz auf die Kinder fokussieren. So oder so rate ich jeder jungen Frau, sofern möglich früh mit Sparen zu beginnen und in die 3. Säule einzuzahlen. Auch wenn das erst mal wenig ist: Damit spart man Steuern und profitiert vom Zinseszinseffekt.

Wer das Geld erwirtschaftet, leistet für den anderen Ehegatten einen Vorsorgeausgleich. Nach der Scheidung gibt es nach Möglichkeit einen Vorsorgeunterhalt. Wie effektiv wirkt das einer Vorsorgelücke entgegen – und wo sind die Grenzen?
Der Vorsorgeausgleich endet beim Einreichen der Scheidungsklage bzw. -vereinbarung bei Gericht. Erst wenn die Scheidung rechtskräftig ist, wird der Vorsorgeunterhalt fällig – allerdings nur, wenn die finanziellen Mittel dafür vorhanden sind. Die Einkommen von Mann und Frau nach der Scheidung müssen dabei höher sein als die Lebenskosten inklusive der Mehrkosten, welche durch die Trennung entstanden sind. Dafür schaut man den Bedarf aller Parteien an, inklusive der Kinder. Ist dann noch Geld übrig für die angemessene Altersvorsorge der Frau, kann der Vorsorgeunterhalt gesprochen werden. Lücken entstehen vor allem dann, wenn die finanziellen Mittel knapp sind.

In welcher Form wird der Vorsorgeunterhalt bezahlt?
Er ist im nachehelichen Unterhalt an die Frau miteingeschlossen und wird nicht separat ausbezahlt. Die Frau muss den im Rahmen der Unterhaltsberechnung festgelegten Betrag also selbständig sparen, wenn das geht. Ist sie erwerbstätig, kann sie es bis zum gesetzlichen Höchstbetrag in die Säule 3a einzahlen, ansonsten auf ein Sparkonto legen.

Ist das Risiko nicht gross, dass der Vorsorgeunterhalt ohne gesetzliche Regel gar nicht beiseitegelegt wird?
Es braucht das klare Bewusstsein, das Geld auch tatsächlich beiseitezulegen. Gleichzeitig ist das Existenzminimum sehr tief berechnet. Um auch nach der Scheidung wieder einigermassen so leben zu können wie davor, wird das Geld oft auch für den täglichen Bedarf und nicht für die Vorsorge verwendet.

Portrait von Eliane Benjamin in ihrem Büro
So oder so rate ich jeder jungen Frau, sofern möglich, früh mit Sparen zu beginnen und in die 3. Säule einzuzahlen.

Das Fortführen des gewohnten Lebensstandards nach der Scheidung ist also für viele nicht möglich?
Das ist so. Deshalb ist es wichtig, dass die Frau bei der Rollenverteilung zumindest einen Fuss in der Arbeitswelt behält. Natürlich steht im Zentrum, dass es für die Familie stimmt und möglich ist. Es ist ratsam, das Pensum zu erhöhen, sobald das möglich ist. Die Scheidung kann Realität sein. Und in einem solchen Fall leben alle besser, wenn die Frau finanziell unabhängiger ist. Gleichzeitig hat auch der Mann etwas von der Kinderbetreuung und kann sich in guten Zeiten überlegen, sein Pensum zu reduzieren.

Gibt es einen typischen Fall Ihrer Berufspraxis hinsichtlich Scheidung und Vorsorgelücke bei Frauen?
Ich erlebe regelmässig, dass Frauen keine eigene Pensionskasse haben, weil sie nicht gearbeitet haben oder bei der Scheidung nicht mehr berufstätig sind. In solchen Fällen sind sie nicht BVG-versichert. Haben sie zwar selbst Geld in der zweiten Säule angespart, liegt es meist auf einem Freizügigkeitskonto. Wenn sie sich bis zur Pensionierung aufgrund fehlender Erwerbstätigkeit nicht mehr einer neuen Pensionskasse anschliessen können, ist ein Rentenbezug bei der Pensionierung nicht möglich, da nur Kapital bezogen werden kann. Oft möchte die Frau jedoch auf das Alter eine monatliche Rente.

Was ist empfehlenswert, wenn man bei der Scheidung nicht mehr berufstätig ist und bis zur Pensionierung voraussichtlich keine neue Pensionskasse mehr hat?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Das Kapital, das sie nach der Scheidung zur Verfügung hat, kann sie im Rahmen der Pensionierung beziehen, einmal privilegiert versteuern und bei einer Lebensversicherung in eine Rentenversicherung investieren. Von dieser Rente werden derzeit wiederum 40 Prozent versteuert. Sie nimmt das Geld also aus dem gesetzlichen Vorsorgekreislauf und setzt es für die Säule 3b, die freie Vorsorge, ein.

Und die andere Möglichkeit?
Sie kann es auch in der 2. Säule belassen und es an die Stiftung Auffangeinrichtung BVG überweisen. Das ist eine freiwillige, berufliche Versicherung. Der Nachteil gegenüber der regulären Pensionskasse ist jedoch insbesondere der tiefere Umwandlungssatz.

Text: Simon Eppenberger
Bild: Giorgia Müller

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