Esther Gemsch ist mit 66 Jahren zurück auf der grossen Kinobühne. In ihrem neuen Film «Die goldenen Jahre» spielt die Schweizer Schauspielerin die frisch pensionierte Alice Waldvogel. Wir sprechen mit ihr über Selbstbestimmung im Alter und darüber, warum kürzertreten für sie nicht in Frage kommt.

Esther Gemsch, Hauptdarstellerin im Schweizer Kinofilm «Die goldenen Jahre», über Freiheit und Selbstbestimmung.

In Ihrem neuen Kinofilm «Die goldenen Jahre» feiern Sie als frisch pensionierte Alice Waldvogel Ihren Ruhestand und freuen sich auf die neue Lebensphase. Inwiefern können Sie sich mit dieser Rolle identifizieren?
Mit der Rolle kann ich mich zu einem Teil identifizieren. Alice Waldvogel ist eine Frau in meinem Alter. Sie hat ebenfalls Kinder grossgezogen und nebenbei gearbeitet. Sie hat immer ihre Pflichten erfüllt, aber gleichzeitig ihre Träume zur Seite geschoben. Womit ich mich nicht identifizieren kann, ist die Pensionierung. Dieses Thema existiert für mich nicht, da ich freischaffend bin. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass ich ständig wieder aufs Neue pensioniert werde (lacht). Denn es gibt Zeiten, in denen ich weniger oder mehr gefragt bin.

Dann planen Sie keinen Ruhestand?
(Lacht) Nein, das kann ich mir nicht erlauben. Zudem kann ich es mir nicht vorstellen. Ich arbeite, seit ich 16 Jahre alt bin. Für mich wäre es schlimm, wenn ich nicht mehr «erschaffen» oder «schaffen» dürfte. Das kann ich mir nicht vorstellen. Zudem wüsste ich nicht, wie man von der AHV allein leben soll. Also muss ich arbeiten. Ich muss, ich darf und ich will arbeiten.

Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?
Arbeit ist ein Teil meines Lebens, ohne zur Identifikation zu werden. Ich will es eigentlich auch nicht Arbeit nennen, denn es fühlt sich für mich nicht wie Arbeit an. Als passionierte Geschichtenerzählerin stehe ich enorm gerne auf der Bühne und spüre, wie das Publikum den Figuren folgt. Ich liebe es, die Menschen an der Hand zu nehmen und sie in eine Geschichte zu ziehen, sie an Abgründe oder Höhepunkte zu führen. Das bedeutet mir unheimlich viel.

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Erst wenn man selbstständig denken kann, kann man auch über sich selbst bestimmen.

Bringt die Arbeit mit zunehmendem Alter auch mehr Selbstbestimmung mit sich?
Für mich kann ich diese Frage mit «ja» beantworten. Aber Selbstbestimmung hat für mich nicht nur etwas mit der Arbeit zu tun, sondern mit dem Leben an und für sich. Es hat etwas damit zu tun, dass ich versuche, über mich selbst zu reflektieren und zu überlegen, warum ich mich in einer Situation so verhalten habe und nicht anders. Manchmal gelingt mir das mehr, manchmal weniger. Doch es führt dazu, dass ich mich bewusst für oder gegen etwas entscheide. Ob es dann besser wird, weiss man nie. Aber zumindest macht man denselben Fehler nicht zweimal. Es wäre für mich das Schlimmste, in einer Kurve hängen zu bleiben. Ich will vorwärtsgehen bis zum Schluss. Das bringt mir meine Selbstbestimmung.

Welche Rolle spielt Freiheit in Ihrem Leben?
Freiheit ist für mich eines der schwierigsten Themen im Leben. Ich versuche stets, den richtigen Umgang damit zu finden. Zuerst muss man überhaupt begreifen, was Freiheit bedeutet. Für mich bedeutet es, selbst darüber zu bestimmen, was ich denke und mache. Frei zu leben, ist eine hohe Kunst – man muss sich von Abhängigkeiten lösen und von Materiellem befreien. So lebe ich bewusst auf 48 Quadratmetern und besitze sehr wenig.

Was ist Ihrer Meinung nach besonders wichtig, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können?
Das eigene Denken. Damit meine ich, nicht irgendetwas nachzusprechen, das man gehört oder gelesen hat, sondern die Fähigkeit, sich seine eigene Meinung zu bilden. Erst wenn man selbstständig denken kann, kann man über sich selbst bestimmen. Oder wie will man über sich selbst bestimmen, wenn man sich keine Gedanken dazu gemacht hat?

Was war Ihr grösstes Abenteuer?
Mein Leben (lacht). Das ist mein allergrösstes Abenteuer. Viele Menschen versperren sich vor ihrem eigenen Leben. Sie wünschen sich, dass immer alles schön und hip ist. Doch das Leben ist ein grossartiges Abenteuer. Man kann sich das Leben wie eine Wanderung in den Voralpen vorstellen: Da geht es bergauf und bergab. Erst muss man ganz unten ankommen, bevor es auf der anderen Seite wieder hoch geht. Niemand kann einfach über das Tal springen. Das Leben besteht aus Überwindungen. Diese sind mein Abenteuer. Ich hoffe, es dauert noch ein wenig an.

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Esther Gemsch (1956) wuchs mit zwei Schwestern in Bremgarten bei Bern auf. Bereits früh zog es sie vor die Kamera. So spielte sie zahlreiche Rollen in schweizerischen Fernsehfilmen. Den Durchbruch hatte sie mit der Seifenoper Lüthi und Blanc, in der sie «Lisbeth Rohner» darstellte. 2023 ist Esther Gemsch als Hauptdarstellerin im Kinofilm «Die goldenen Jahre» am Solothurner Filmfestival zu sehen. Swiss Life unterstützt diese Veranstaltung seit 2008 als Hauptsponsorin.

Wofür geben Sie am liebsten Geld aus?
Am liebsten für meine Kinder und meine Grosskinder. Ich selbst brauche nichts. Obwohl, das ist nicht wahr. Ein Glas Champagner finde ich schon gut (lacht). Für das gebe ich gerne Geld aus. Und ab und zu gönne ich mir den Luxus einer Kosmetikerin. Aber abgesehen davon gebe ich kein Geld aus.

Haben und hatten Sie immer einen Notgroschen oder ein finanzielles Polster?
Wie soll das gehen als freischaffende Schauspielerin mit drei Kindern? Also ich wüsste nicht, wie.

Was gefällt Ihnen am Schweizer Filmschaffen?
Am Schweizer Filmschaffen gefällt mir der respektvolle, freundliche und professionelle Umgang zwischen den Filmschaffenden. So etwas sehe ich nicht überall in Europa. Diesen Umgang beobachte ich vor allem bei der neuen Generation, die ist jetzt um die 30 Jahre alt oder etwas jünger. Vor ihr ziehe ich den Hut.

Ihr Filmtipp?
Ja, die «Die goldenen Jahre» (lacht). Wirklich, den Film kann ich empfehlen. Aber eigentlich möchte ich keinen Filmtipp abgeben. Vielmehr möchte ich sagen: Bitte geht wieder ins Kino. Es ist ein einzigartiges und grossartiges Erlebnis. Ich finde es etwas Wunderbares, sich gemeinsam mit anderen Menschen den Emotionen eines Filmes hinzugeben. Es gibt so viele gute Filme. Ach, ich liebe das Kino!

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Swiss Life fördert die Schweizer Filmkultur und trägt dazu bei, dass die Kulturschaffenden ihren eigenen künstlerischen Weg verfolgen können. So engagiert sich Swiss Life seit 2008 bei den Solothurner Filmtagen als Hauptsponsorin und ist Preisstifterin des beliebten Publikumspreises «PRIX DU PUBLIC».

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