Die Schweizer Regisseurin Fiona Ziegler lebt in Prag und hat bereits viel von der Welt gesehen: Bachelor-Studium in Freiburg und Bologna, Master in Genf, Schauspielunterricht in New York und Weiterbildungen sowie Projekte in Bern, Prag und Mazedonien. Die innere Zerrissenheit zwischen verschiedenen Welten hat sie in ihrem aktuellen Film «Lost in Paradise», der an den Solothurner Filmtagen für den «PRIX DU PUBLIC» nominiert ist, thematisiert. Im Interview gibt uns Fiona Ziegler einen spannenden Einblick in ihr Leben.

Wir treffen Fiona Ziegler in einer aussergewöhnlichen Location in Bern: Die Kinemathek, direkt an der Aare beim Marzili, ähnelt einem Museum mit Artefakten der Kinogeschichte. Es gibt alte Projektoren, Lobbycards, Filmplakate und auffallende, rote Kinostuhlreihen in der Mitte des Raumes. Hier fühlt sich die Regisseurin sichtlich wohl und kennt sich auch bestens aus: Während sie uns die Funktionsweise dieser alten Filmprojektoren passioniert erklärt, leuchten ihre Augen und man wird direkt mitgerissen von der Begeisterung und Leidenschaft, welche sie für das Filmhandwerk hat. Ihre Expertise und das grosse Filmwissen, das sie sich unter anderem an der renommierten Filmakademie in Prag angeeignet hat, sind beeindruckend.

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Frau Ziegler, was war das für ein Gefühl, als Sie die Zusage der FAMU (Film and TV School of the Academy of Perfoming Arts) in Prag erhalten haben?
Es war aussergewöhnlich und surreal zugleich: Als erste Schweizerin und sogar als erste Westeuropäerin in dieses traditionelle Regiedepartement aufgenommen zu werden, ist eine grosse Ehre. Mit der Zusage kam aber auch ein enorm grosser Druck auf mich zu, denn ich wusste, dass ich nun genau acht Monate Zeit hatte, um Tschechisch zu lernen – eine der Bedingungen, um das Studium machen zu können. Deswegen habe ich meine Aufnahme damals auch nicht an die grosse Glocke gehängt und lediglich im kleineren, familiären Rahmen darauf angestossen.

Wie haben Sie es geschafft, in nur acht Monaten Tschechisch zu lernen?
Ich glaube, ausschlaggebend war mein Wille, es zu schaffen. Ich war so nah an meinem Traum dran und wollte nicht, dass es an so was «Nebensächlichem» wie der Sprache doch noch scheitert. Und so hing ich mich acht Monate lang rein, besuchte einen Intensivkurs an der Prager Karlsuniversität und schaute viele tschechische Filme. Mir war es wichtig, nicht nur die Sprache zu beherrschen, sondern das Gefühl und die Filmsprache aufzunehmen.

Gab es auch mal Zweifel, ob Sie mit dem Werdegang zur Regisseurin den richtigen Weg eingeschlagen haben?
Natürlich. Auch jetzt bin ich nervös. Und ja, natürlich hatte ich auch immer wieder Zweifel an mir selbst und Angst, ob ich das schaffe und die Kraft dazu habe, das durchzustehen. Die Filmbranche ist geprägt von Unsicherheit und Einsamkeit. Der Druck ist gross, der Konkurrenzkampf und der Neid noch grösser – darauf war ich schlichtweg nicht vorbereitet. Es gab daher Momente, in denen ich abbrechen und nach Hause reisen wollte. Dennoch wusste ich immer, dass es das ist, was ich will, und das liess mich schlussendlich durchhalten.

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Fiona Ziegler (38) ist Regisseurin aus Bern. Aus über hundert Anwärterinnen und Anwärtern wurde sie als eine von sechs in den Regiestudiengang der renommierten Filmakademie in Prag aufgenommen. 2021 hat sie ihren ersten grossen Spielfilm «Lost in Paradise» herausgebracht und wurde damit sogleich an den Solothurner Filmtagen für den «PRIX DU PUBLIC» nominiert.

Wollten Sie denn schon immer Regisseurin werden? Oder gab es auch einen Plan B?
Meine Grossmutter war Schauspielerin und das Theater ein wichtiger Bestandteil meiner Jugend. Bereits als Kind habe ich es geliebt, im Estrich unseres Hauses eine Bühne aufzubauen, Freunde einzuladen und eine Geschichte aufzuführen. Ich hatte aber tatsächlich einen Plan B: Hätte das mit dem Regiejob nicht geklappt, würde ich heute ein Restaurant führen. Dieser Alternativplan hat mir geholfen, nicht zu verbissen an mein Regiestudium heranzugehen. Ich wusste, ich kann auch anders glücklich werden. Diese Freiheit nimmt einem viel Druck weg.

Was fasziniert Sie am meisten an Ihrem Beruf?
Es mag kitschig tönen, aber es ist fast wie Alchemie. Dass durch die Inszenierung von Bewegung, durch Licht, Farben und Emotionen etwas entsteht, das nicht da war, das Motion Picture, das hat für mich etwas wirklich Magisches. Zudem ist diese unglaubliche Konzentration eines jeden Mitwirkenden am Set extrem beeindruckend. Alle sind mit grosser Leidenschaft dabei. Das habe ich bisher in keiner anderen Branche erlebt.

Ihr Film «Lost in Paradise» wurde an den Solothurner Filmtagen für den «PRIX DU PUBLIC» nominiert. Was hat Sie zu diesem Film inspiriert?
Auf meinen vielen sowie langen Busreisen zwischen Tschechien und der Schweiz habe ich viele Menschen getroffen. Dadurch durfte ich beeindruckende, aber auch skurrile Geschichten erfahren, die ich in den Film miteinfliessen liess. Und natürlich hat es auch einiges an Autobiografischem drin. Der Aspekt, zwischen zwei Kulturen zu Hause, aber nirgendwo richtig angekommen zu sein, hat mich geprägt. Und geprägt haben mich natürlich die tschechoslowakische Filmkultur und der Humor (Miloš Forman, Jiří Menzel, Věra Chytilová), die ich an der FAMU mitbekommen habe.

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Zwischenmenschliche Beziehungen sind immer wichtiger als berufliche Ambitionen.

Die Hauptfigur, Eugen, ist Ende 30, lebt in Prag und hat weder Familie noch ein sicheres Einkommen. Wie wichtig ist Ihnen persönlich finanzielle Sicherheit?
Ich wäre natürlich froh, wenn meine finanzielle Situation besser wäre, als sie ist. Es braucht Mut, ohne gesicherten, regelmässigen Lohn zu leben. Aber ich kann das nicht ändern. Ich würde niemals meine Kreativität aufgeben, um dafür ein sicheres Einkommen zu haben. Wäre das mein Wunsch, wäre ich nicht diesen Weg gegangen.

Fühlen Sie sich dadurch selbstbestimmt und frei?
Ja, ich jongliere mein Leben mit Intuition und Energie. Ich weiss nicht, was in sieben Monaten sein wird. Das kann einerseits angsteinflössend sein, andererseits macht es selbstbestimmt und frei. Ich versuche, mit dieser Freiheit, die ich mir hart erarbeitet habe, umzugehen und sie zu geniessen.

Was bedeutet Selbstbestimmung für Sie persönlich?
Ich finde gerade für uns Frauen ist das ein enorm wichtiges Thema. Ich möchte eigenständig sein, mich selbst finanzieren können und nicht von anderen getragen werden müssen. Ich habe mir das erarbeitet, bin dadurch gestärkt und kann zu mir selbst stehen und so auch besser allfällige Kritik ertragen. Viele verwechseln diese schlichte Unabhängigkeit, welche mir sehr wichtig ist, mit Feminismus.

Was würden Sie anderen Filmschaffenden mit auf den Weg geben?
Diesen Weg zu gehen, bedeutet sehr viel Arbeit. Mir hätte es sicherlich geholfen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass es ein extrem kompetitives Umfeld ist. Manche spornt diese Konkurrenz an, andere verunsichert es. Ich gehöre zu Letzteren. Andererseits ist es aber auch gut, dass ich so naiv in dieses Business eingestiegen bin. Denn hätte ich das alles bereits im Voraus gewusst, hätte ich vielleicht nie den Mut gehabt, diesen Weg einzuschlagen, und wäre heute nicht da, wo ich jetzt bin.

Was wünschen Sie sich noch vom Leben?
Auf privater Ebene ist es mein Ziel, die lebenserfüllende Liebe zu finden. Ich finde zwischenmenschliche Beziehungen sind immer wichtiger als berufliche Ambitionen. Erfolg ist nur dann beglückend, wenn man ihn teilen kann. Auf beruflicher Ebene hoffe ich, meinen nächsten Spielfilm zu machen und mit vielen tollen Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten zu dürfen. Ich liebe es einfach, auf dem Set zu sein.

Headerbild: Lukáš Oujeský/Economia

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Swiss Life fördert die Schweizer Filmkultur und trägt dazu bei, dass die Kulturschaffenden ihren eigenen künstlerischen Weg verfolgen können. So engagiert sich Swiss Life seit 2008 bei den Solothurner Filmtagen als Hauptsponsorin und ist Preisstifterin des beliebten Publikumspreises «PRIX DU PUBLIC».

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