Gudrun Sander, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, kommentiert die Resultate der Teilzeitstudie von Swiss Life. Ausserdem spricht sie darüber, wie sich die Wahl des Pensums auf die berufliche Laufbahn und die Vorsorge auswirkt.

Gudrun Sander: 92 Prozent der Schweizer Eltern möchten Teilzeit arbeiten. Erstaunt Sie das?
Nein. Auch unsere Forschung zeigt, dass sehr viele Eltern sich ein Teilzeitpensum wünschen, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Allerdings gibt es doch viele, die wegen des Geldes darauf verzichten.

Bereits bei 62 Prozent der Schweizer Familien arbeitet ein Elternteil Teilzeit. Wo sehen Sie die Gründe für die Beliebtheit dieses Modells?
Man muss solche Tendenzen in einem historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang sehen. In den 70er-Jahren war in der Schweiz ein Grossteil der Mütter nicht berufstätig. Momentan ist das beliebteste Modell, dass in Haushalten mit Kindern der Vater 100 Prozent arbeitet und die Mutter Teilzeit. Die Rolle des Manns als «Ernährer» der Familie bleibt bestehen. Positiv finde ich, dass die meisten Frauen im Berufsleben bleiben, wenn sie Kinder bekommen.

Bild: Keystone, Gian Ehrenzeller und Randy Tischler

Prof. Dr. Gudrun Sander

Gudrun Sander ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Diversity Management an der Universität St. Gallen. Sie stammt aus Österreich und lebt seit 1989 in der Schweiz. Sie ist Direktorin des Competence Centre for Diversity and Inclusion CCDI und akademische Direktorin an der Executive School. Sie ist Autorin von zahlreichen Publikationen zum Thema «Diversity».
Bild: Keystone 

 

Immer noch wählen vorwiegend Frauen das Teilzeitmodell, ausserdem entscheiden sie sich oft für ein Pensum zwischen 40 und 60 Prozent. Wie wirkt sich das auf die Karriere aus?
Teilzeit bringt der Familie viel, beeinträchtigt aber die berufliche Laufbahn der Person, die reduziert. Wir haben untersucht, welche Auswirkungen ein 80-Prozent-Pensum für Führungskräfte hat. Es hat uns überrascht, dass bereits die geringe Reduktion die Karriere signifikant verlangsamt hat – sowohl für Frauen als auch für Männer. Da aber meist Frauen Teilzeit arbeiten, trifft es vor allem sie.

Würden Sie jungen Eltern ein Teilzeitpensum empfehlen?
Empfehlungen sind schwierig, denn jedes Paar hat seine eigenen Lebensvorstellungen. Gut qualifizierten Personen würde ich raten, dass beide in einem hohen Pensum weiterarbeiten – schliesslich haben beide viel in die Ausbildung investiert. Persönlich gefällt mir das Modell am besten, bei dem beide Elternteile gleich viel arbeiten und sich ebenbürtig um die Kinder kümmern. So haben es auch mein Mann und ich gemacht, wir haben drei Kinder.

Wie haben Sie die Betreuung organisiert?
Ich habe eine eigene Kita gegründet, Mittagstische organisiert und zusätzlich haben wir auch Babysitter und Au-pairs engagiert. Kitas mit flexiblen Betreuungsangeboten würden vielen Eltern dabei helfen, den Spagat zwischen Familie und Beruf zu schaffen.

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«Die Swiss Life-Studie zeigt, dass sich Schweizer Eltern selbstbestimmt für Teilzeitarbeit entscheiden. Nur 5 Prozent arbeiten Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle finden konnten.» (Bild: Randy Tischler)

Nur gerade 27 Prozent der Schweizer Eltern denken daran, wie sich das Arbeitspensum auf die Altersvorsorge auswirkt.
Dieser Befund deckt sich mit meiner Erfahrung, dass die meisten Teilzeitmitarbeitenden die Konsequenzen für die Vorsorge nicht durchrechnen. Um das Pensum reduzieren zu können, nehmen viele Stellen an, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Befördert werden danach eher die Kolleginnen und Kollegen, die Vollzeit arbeiten. Dies wirkt sich zusätzlich zum geringeren Lohn wegen des kleineren Pensums auf das Guthaben in der Pensionskasse und die Möglichkeiten zum Sparen aus. Ich halte es für wichtig, dass sich jede und jeder Gedanken zur persönlichen Vorsorge macht – auch weil es vorkommt, dass Eltern sich trennen.

In der Schweiz etabliert sich das Teilzeitmodell immer mehr, gerade auch bei jüngeren Menschen. Sehen Sie in anderen Ländern ähnliche Tendenzen?
Teilzeitarbeit ist auch in den Niederlanden, Deutschland und Österreich sehr beliebt. In den meisten anderen Ländern ist die Norm, dass beide Elternteile voll berufstätig sind. Allerdings muss man auch sehen, dass die Wochenstunden unterschiedlich sind. In Belgien gilt eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden – das wäre in der Schweiz bereits ein Teilzeitpensum.

Wie könnte man Eltern zusätzlich unterstützen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen?
Ich würde gern von der reinen Teilzeit-/Vollzeitdiskussion wegkommen und plädiere für mehr Innovation und Flexibilität. Zum Beispiel würde es vielen Eltern helfen, wenn sie während der Schulzeit der Kinder mehr arbeiten und dafür während der Schulferien mehr Freitage beziehen könnten. Auch Modelle, bei denen Mitarbeitende zusätzliche Ferientage kaufen oder sich den 13. Monatslohn als Ferien auszahlen lassen können, sind sehr beliebt.

Online-Teilzeitrechner

Neben dem Gehalt kann sich Teilzeitarbeit auf eine ganze Reihe von weiteren Faktoren auswirken, etwa die Kosten für die Kinderbetreuung, steuerliche Abzüge oder die Steuerprogression. Um den Familien den Durchblick zu ermöglichen, hat Swiss Life einen Online-Teilzeitrechner entwickelt. Für Familien ist der Rechner ein erster Schritt auf dem Weg zum passenden Teilzeitmix und zu mehr finanzieller Zuversicht für ihr selbstbestimmtes Leben.

Was braucht es für ein selbstbestimmtes Berufsleben?
Für ein selbstbestimmtes Berufsleben ist es wichtig, gut auf sich selbst zu hören: Was sind meine Stärken, was kann und mache ich wirklich gerne und gut, was sind meine Ziele, Ambitionen und Leidenschaften? Dabei hilft es, auch mal Fremdfeedback einzuholen oder sich ein Coaching zu gönnen. Aber am wichtigsten ist das Selbstvertrauen. Erleichtert wird das Ganze durch gute Kinderbetreuungsstrukturen und ein direktes Umfeld, das einen unterstützt.

Was bedeutet Selbstbestimmung für Sie?
… dass ich möglichst frei von Geschlechterrollen-Erwartungen oder anderen stereotypen Zuschreibungen meinen Neigungen und meiner Leidenschaft entsprechend entscheiden kann. Zum Beispiel: Was ich studieren möchte, wie ich mich kleiden will, wie ich die Betreuungsarbeit organisieren will, was und wie viel ich arbeiten möchte.

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