Martin Kyburz beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Elektromobilität. Sein bekanntestes Produkt kennt die ganze Schweiz: das gelbe Dreirad der Post.

Dass heute jede und jeder beinahe jeden Tag einen gelben, dreirädrigen Elektrotöff der Firma Kyburz vorbeiflitzen sieht, hat mit Rückenschmerzen zu tun. «Höllischen Rückenschmerzen», präzisiert Martin Kyburz. Von diesen hatte ihm sein Briefträger erzählt, und wie ihn Martin Kyburz so bei der Arbeit beobachtete, wunderte ihn das nicht: Unzählige Male musste der Pöstler sein Mofa auf den Ständer wuchten. Also entwickelte Elektropionier Kyburz auf der Basis eines seiner Seniorenmobile ein Töffli, das dem Pöstler die Arbeit erleichterte. Die Schweizerische Post hat auf Kyburz’ Fahrzeugen seit 2010 mehr als 400’000’000 Kilometer zurückgelegt.

Die Geschichte ist typisch für Martin Kyburz: Das Problem findet ihn, nicht er das Problem. Er ist der Mann für die Lösungen, die er äusserst beharrlich verfolgt. Ein Nein akzeptiert der Unternehmer und Chef der Kyburz Switzerland höchstens dann, wenn er den Weg zum Nein selbst gegangen ist.

Martin Kyburz, Pionier der Elektromobilität: «Ich brauche mein Tüftlertum, um mich selbst ständig neu zu erfinden.»

Herr Kyburz, als Sie vor 30 Jahren mit der Elektromobilität begannen, waren Sie der Zeit voraus …
… fast zu weit voraus. Als eines der ersten Fahrzeuge habe ich ein Elektrotrottinett entwickelt. Schaut man sich die Mobilität von heute an, darf ich sagen: Die Zeit war dafür nicht reif.

Wie haben Sie die Elektromobilität für sich entdeckt?
Als Elektroingenieur und Maschinenmechaniker hat mich die Mobilität fasziniert. Für mich habe ich Benzin- und Dieselmotoren untersucht, weil ich genau wissen wollte, wie die funktionieren. Ich bin erschrocken: So ineffizient! Ich liebe das Einfache und Unkomplizierte und so habe ich angefangen, mit Elektromotoren zu experimentieren. Und das mache ich bis heute: experimentieren.

Darf man Sie als Tüftler bezeichnen?
Unbedingt. Ich habe mich immer als Tüftler gesehen – bis man mir gesagt hat, ich sei Unternehmer. Am Anfang wollte ich das nicht wahrhaben, irgendwann habe ich es dann angefangen zu glauben. Jetzt bin ich Tüftler und Unternehmer.

Was unterscheidet den Tüftler vom Unternehmer?
Die Trennlinie ist in meinem Fall nicht scharf. Der Tüftler will neue Ideen entwickeln und diese auf den Markt bringen. Das Unternehmertum dient ihm als Hilfsmittel: Damit lassen sich Ideen realisieren.

Wo profitieren Sie umgekehrt als Unternehmer vom Tüftler?
Die Hauptaufgabe als Unternehmer ist, an mir selbst zu arbeiten und mich immer wieder auf die aktuelle Situation einzustellen. Ich brauche mein Tüftlertum, um mich selbst ständig neu zu erfinden. Eines habe ich in den letzten 30 Jahren gelernt: Ich kann weder meine Mitarbeitenden, noch meine Umgebung, meine Kundinnen oder die Lieferanten verändern. Ich kann immer nur mich verändern.

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Martin Kyburz ist ein Pionier der Elektromobilität. Der Elektroingenieur gründete 1991 sein Unternehmen, begann mit der Entwicklung von elektrischen Seniorenfahrzeugen. Heute sind Kyburz-Postfahrzeuge auf der ganzen Welt im Einsatz. Neben den dreirädrigen Elektromotorrädern fertigt die Kyburz Switzerland AG auch Lastenfahrräder, Roadster und autonome Fahrzeuge und entwickelt Systeme für das Flottenmanagement. Der 58-jährige Tüftler treibt die Entwicklung rund um die Elektromobilität stetig voran. 2020 nahm er eine Anlage zum Batterierecycling in Betrieb. Die Firma beschäftigt knapp 200 Leute.
www.kyburz-switzerland.ch

Sind solche Veränderungen schmerzhaft?
Mitunter, ja. Schmerzhafte Erfahrungen gehören dazu. Zum Beispiel hat meine erste Frau mit mir zusammen im Betrieb gearbeitet. Unsere Beziehung ist daran zerbrochen. Wenn es mit Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern nicht gut läuft, dann schmerzt mich das. Wenn andere plötzlich angefangen haben, meine Ideen für ihre auszugeben, hat mich das früher persönlich getroffen.

Heute nicht mehr?
Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, wohl um mich selbst zu schützen. Ich sage mir: Es geht nicht um mich, es geht um die Idee. Wie diese ihren Weg findet, ist nicht so wichtig.

Und wenn Sie mit einer Idee scheitern?
Im Scheitern bin ich wahnsinnig schlecht. Man merkt es mir vielleicht nicht an, aber ich bin ehrgeizig. Wenn ich scheitere, egal ob im Kleinen oder im Grossen, dann ärgere ich mich massiv über mich und es kann auch sein, dass ich wütend auf mich werde.

Wie finden Sie aus dem Tief heraus?
Mit einem simplen Trick. Ich brauche drei Erfolgserlebnisse, um wieder mit mir im Reinen zu sein. Das Beste am Trick: Selbst wenn ich gigantisch gescheitert bin, können die Erfolgserlebnisse winzig sein. Es reicht, Wäsche wunderbar sauber zu waschen, etwas im Haus zu putzen oder im Garten ein Beet zu jäten. Dann kann ich das nächste Projekt angehen.

Das ist der Weg, mit den Emotionen umzugehen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie aus dem Scheitern lernen?
Ich versuche, den Misserfolg genau zu analysieren, möglichst neutral hinzuschauen und meine Lehren daraus zu ziehen. Wenn es nicht gelingt, Lehren daraus zu ziehen, war der Misserfolg umsonst. Als Ingenieur gelingt mir dieser Teil der Bewältigung relativ einfach.

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Ich gebe gerne Kontrolle ab, verliere sie aber nicht gerne.

Was bedeutet für Sie Selbstbestimmung?
Selbstbestimmt zu sein, ist mir wichtig. Es bedeutet, dass ich so unabhängig wie nur möglich bin und stets entscheiden kann, ob ich etwas machen will – oder eben nicht. Ich will nicht in Zugzwang kommen. Ich würde sagen, ich bin sehr, sehr selbstbestimmt.

Welche Rolle spielt Geld, um selbstbestimmt leben und arbeiten zu können?
Geld ist für mich Mittel zum Zweck. Es ist der Treibstoff, der meine Projekte am Laufen hält. Insofern ist es sicher wichtig. Materieller Reichtum interessiert mich hingegen nicht. Ich möchte einfach genügend Geld haben, um mir meine Freiheit zu sichern. Sowohl als Unternehmer als auch als Privatperson.

Dann hatten Sie immer ein finanzielles Polster?
In der Firma schon, im Privaten war das nicht immer der Fall. Wobei ich das nicht empfehlen würde, weil man eben riskiert, in Zugzwang zu kommen. Ich würde sagen, um selbstbestimmt zu sein und zu bleiben, sollte immer genügend Geld vorhanden sein, um drei Monate davon leben zu können.

Wo liegen die Grenzen der Selbstbestimmung?
Da, wo ich mit meiner Selbstbestimmung meinem Gegenüber zu nahe komme. Am liebsten ist es mir, wenn mir das Gegenüber dies selbst sagen kann – selbstbestimmt eben.

Haben Sie gerne alles selbst unter Kontrolle?
Ich würde sagen, ich gebe gerne Kontrolle ab, verliere sie aber nicht gerne. Wenn ich ehrlich mit mir selbst bin: Es gelingt mir noch nicht voll und ganz, ich bin da noch in der Findungsphase.

Sie sind 58. Planen Sie Ihre Nachfolge?
Langsam fange ich mir an, Gedanken zu meiner Nachfolge zu machen. Ich wünsche mir, dass ich die Firma sukzessive abgeben kann. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als einen überalterten Patron, der einfach nicht gehen will.

Bis wann wollen Sie das erledigt haben?
Schwierig zu sagen. Vielleicht in zwei Jahren, vielleicht mit 65 oder auch einige Jahre später. Was ich sicher weiss: Mein Leben danach wird nicht gross anders sein. Ich werde an meinen Projekten arbeiten, reisen, Menschen kennenlernen, Kultur geniessen, und ich will lernen, lernen, lernen.

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