Miro Waldvogel spielt einarmig Golf. Der 22-Jährige hat klare Ziele – im Sport und im Leben. Sein Traum: die Paralympics 2028. Handicap? Fehlanzeige.

Die Zukunft, die die Ärzte für Miro Waldvogel skizzieren, ist eine, die mit Miros heutigem Leben so gar nichts zu tun hat. Miro Waldvogel kommt im Unispital Zürich zu früh zur Welt. Das MRI zeigt: Seine linke Gehirnhälfte ist nach einem Hirninfarkt stark geschädigt. Miro, so die Ärzte, werde in seinem Leben weder sprechen noch gehen können. Das war im September 2000.

Hier beginnt die Selbstbestimmung in Miros Leben: Seine Eltern fokussieren nicht auf die Einschränkungen, sondern auf die Möglichkeiten ihres Kindes. Und sie stellen schnell fest: Ihr Sohn hat einen starken Willen. Er entwickelt sich gut, macht Fortschritte, übertrifft alle Erwartungen. Als Miro vier ist, verreist die Familie nach Costa Rica – und weil das Klima und die Umgebung Miro guttun, kehren sie statt nach zwei Wochen nach mehr als drei Jahren in die Schweiz zurück. Miro ist damals siebenjährig. Er kann Fahrrad fahren, schwimmen, surfen, Skateboard fahren, gehen sowieso. Und er spricht Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Spanisch und Englisch.

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Miro Waldvogel bezeichnet sich als offen, neugierig und vor allem als sportbegeistert. Irgendwann entdeckt er Golf. Er sucht nach einer Technik, die es ihm erlaubt, mit einer Hand zu spielen – aus einem Sport wird eine Passion. Heute ist Miro Waldvogel 22, er trainiert mindestens an drei Tagen die Woche, spielt Handicap 17,4 (das ist deutlich besser als der Durchschnitt und heisst vereinfacht, dass er pro Loch einen Schlag geschenkt erhält), ist Mitglied des Swiss Golf Team. Wenn er nicht Golf spielt, dann arbeitet er im Golfumfeld: Waldvogel macht eine Lehre in einem grossen Golfartikelhändler. Kurz: Golf ist sein Leben.

Was ist das Beste am Golf?
Draussen zu sein, in der Natur. Jeder Platz ist anders und fordert dich jedes Mal neu heraus. Das mag ich. Wenn ich auf dem Golfplatz bin, fühle mich weder behindert noch beeinträchtigt, ich vergesse das alles. Das bedeutet für mich Freiheit. Ich spiele einfach eine Runde Golf wie alle anderen auch.

Wie kamen Sie zum Golf?
Ich war schon immer extrem sportbegeistert. Habe Unihockey gespielt, Fussball, Tennis, Tischtennis, ich bin gesurft und geskatet. Und so wollte ich auch Golf ausprobieren, das war vor fünf Jahren. Meine Familie lebte damals in Spanien neben einem Golfplatz. Weshalb spielen wir nicht Golf, wenn es gleich nebenan ist?

Weshalb nicht?
Mein Vater war zuerst skeptisch. Vielleicht wollte er mich auch vor einer Enttäuschung schützen. Ein Golfschlag ist ja doch eine sehr komplexe Bewegung.

So gesehen ist die Skepsis nachvollziehbar, oder?
Die ersten Versuche auf der Range waren tatsächlich auch schwierig. Ich musste zuerst mal herausfinden, wie ich den Schläger am besten halte. Irgendwie musste ich von der Idee wegkommen, Vorhand zu spielen. Ich spiele jetzt mit der linken Hand quasi backhand und das funktioniert viel besser.

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Ich bestimme selbst, was ich mache – und was nicht.

Ging es lange, bis Sie den ersten Ball trafen?
Ich glaube, ich darf sagen, dass ich ein gewisses sportliches Talent besitze. Dass ich etwas, das ich sehe, relativ gut umsetzen kann. Es ging eigentlich ziemlich schnell, bis die ersten Bälle flogen. Nicht immer in einer schönen Flugbahn, aber sie flogen. Sagen wir es so: Ich traf die Bälle schnell genug, um die Motivation am Leben zu erhalten. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich einen Ball perfekt getroffen habe. Das war der Moment, in dem es mich gepackt hat.

Ihr Motto lautet «Limitation is only in the mind». Was meinen Sie damit?
Klar, ich habe eine Beeinträchtigung. Aber sie sollte mich nicht von etwas abhalten, das ich will. Ich bestimme selbst, was ich mache – und was nicht. Ich bin überzeugt: Man kann erreichen, was man erreichen will, wenn man hart und mit Leidenschaft daran arbeitet. Genau das versuche ich zu machen. Im Golf und in meinem Leben.

Wird Ihnen manchmal das Gefühl gegeben, beeinträchtigt zu sein?
Von aussen mag ein einarmiger Golfer extrem beeinträchtigt erscheinen – aber das bringt mich nicht von meiner Idee ab, von meinen Zielen und Träumen. Mein Glück ist es, dass man mir meine Einschränkungen auf den ersten Blick nicht ansieht.

Ein Glück? Wie meinen Sie das?
Ich empfinde das als Glück, weil ich glaube, dass man mich so nicht von vornherein nach meiner Behinderung beurteilt.

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Miro Waldvogel macht alles mit links. Der 22-Jährige ist seit Geburt halbseitig gelähmt, sein rechter Arm ist sehr schwach, sein rechtes Bein ist ebenfalls beeinträchtigt. Waldvogel macht mit Unterstützung der IV eine Lehre in einem grossen Schweizer Fachgeschäft für Golfausrüstung. Er lebt in Uster.

Miro Waldvogel möchte mit seinem Engagement zeigen, dass Golf für viele Beeinträchtigte ein guter Sport sein kann. Golf sei zwar anspruchsvoll, sagt er, aber physisch nicht so hart, da es sich um runde und weiche Bewegungen handelt. Eines seiner Ziele war es, dass der Schweizer Golfverband Swiss Golf die Gruppe der Disabled Golfer anerkennt; was ihm soeben gelungen ist. Im Juni spielte eine offizielle Schweizer Mannschaft an einem Nationencup in Belgien. «Diese Anerkennung ist mir wichtig», sagt Waldvogel, «als Zeichen, dass wir auch dazugehören.»

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Wann fühlen Sie sich beeinträchtigt?
Im Alltag sind es kleine Sachen, die mir Mühe bereiten. Kleider zusammenlegen oder Brot schneiden. Das sind aber auch Sachen, die ich eigentlich lernen könnte. Es gibt keine unlösbaren Probleme, es gibt nur Ausreden.

Weichen Sie manchmal auf Ausreden aus?
Ich würde mich grundsätzlich als ziemlich faulen, bequemen Menschen beschreiben. Ich könnte eigentlich viel mehr, als ich momentan mache. Früher sagte ich oft: «Ich kann das nicht.» Jetzt bin ich erwachsen, ich muss wirklich mehr Verantwortung übernehmen, noch unabhängiger werden.

Was gibt Ihnen Golf?
Mit Golf verbinde ich ein starkes Gefühl: Befreiung. Ich vergesse alles um mich herum, ich vergesse, was mich beschäftigt, ich vergesse meine Einschränkung. Golf bedeutet Abschalten, du bist auf dem Golfplatz für dich allein, spielst dein Spiel, bist dein einziger und zugleich grösster Gegner. Das macht es schön. Und so schwierig (lacht).

Wie gehen Sie mit Frustration um?
Immer besser.

Das heisst?
Als Teenager ist Golf nicht einfach. Mit 16, 17, als ich begann, hatte ich wirklich Mühe, mit den Frustrationen umzugehen. In Spanien warf ich mal einen Putter in den See (lacht). Dann habe ich mir gesagt, dass es zum Golfen gehört, dass es nicht immer läuft. Es ist unnötig, sich aufzuregen. Ich versuche nun, ruhig zu bleiben, den letzten Schlag zu vergessen und mich auf den nächsten zu konzentrieren.

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Vieles spielt im Kopf?
Golf ist sehr mental, ja. 80 Prozent spielen sich im Kopf ab. Die Möglichkeit liegt im nächsten Schlag und nicht in dem, den du schon gemacht hast. Umgekehrt: Was nützt ein toller Abschlag, wenn du den zweiten Schlag verschlägst?

Was haben Sie vom Golf fürs Leben gelernt?
Auf dem Golfplatz lernt man Menschen wirklich kennen. Man erkennt relativ schnell, welchen Charakter ein Mensch hat. Man lernt aber auch sich selbst auf dem Golfplatz sehr gut kennen. Vom Golf habe ich gelernt, dass ich Geduld haben muss. Dass ich akzeptieren muss, dass etwas nicht wie gewünscht läuft. Die Erfahrungen auf dem Golfplatz helfen mir im Alltag, mit Frustration umzugehen, überhaupt mit Emotionen. So wie ich Freude am Golfspielen habe, möchte ich auch Freude am Leben haben.

Was sind Ihre Ziele?
Für den Sport ist das einfach zu beantworten: Ich möchte möglichst viele internationale Turniere spielen, mein Handicap runterspielen. Unter 10, das wäre schon super. Und das ganz grosse Ziel, mein Traum, ist die Teilnahme an den Paralympics 2028 in Los Angeles.

Dann noch der schwierige Teil der Frage …
(lacht) … also: Ich möchte noch mehr Möglichkeiten sehen statt Einschränkungen. Das Beste aus allem machen. Und glücklich sein. Das ist für mich die zentrale Botschaft. Man muss das Beste aus seinem Leben machen. Ich weiss, es sagt sich leicht, ist aber zum Teil extrem schwierig: Aber man muss nach vorne schauen und das Positive sehen.

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