Jeder vierte Schweizer arbeitet auch im Rentenalter weiter, fast jede zweite Schweizerin wäre grundsätzlich bereit dazu. Aktiv gefördert wird die Erwerbstätigkeit 65+ von den Unternehmen laut einer neuen Swiss Life-Studie bisher aber eher selten. Welche Chancen und Herausforderungen das längere Arbeiten mit sich bringt, zeigen zwei Beispiele aus der Praxis.

Dem herkömmlichen Konzept, die Lebenszeit in Zahlen zu messen, kann Alexis Weil wenig abgewinnen – zu starr und korsettgleich erscheint ihm dieser Rahmen, um die Erfahrungen und die Eigenschaften des Einzelnen auch nur annähernd präzise abzubilden. Die Skepsis des Basler Unternehmers kommt nicht von ungefähr. Vorurteile und Stereotypen von Alters wegen sind keine Frage des Alters. Da erhält die 27-jährige Chefin schnell mal das Etikett «jung und unerfahren» oder der 60-jährige Bewerber den Stempel «alt gleich unflexibel». Auf dem Arbeitsmarkt wird die Luft für Jobsuchende jenseits der 55 spürbar dünner. Gleichzeitig wünschen sich viele ältere Arbeitnehmer, auch über das Referenzalter hinaus beruflich aktiv zu bleiben – idealerweise in einem reduzierten Pensum und zu flexibleren Konditionen.

Fotografie Portrait Mann mit Brille lächelt
Unter älteren Arbeitnehmenden liegt ein kaum erschlossenes Potenzial brach. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels kann das ein Schlüssel sein.

Genau hier setzt Weils Geschäftsmodell an: Mit seiner Plattform seniors@Work will er die Expertise von Fachkräften 50+ zusammenbringen mit Unternehmen, die genau diesen Erfahrungsschatz suchen. Mehr als 70 000 Fachkräfte und rund 6000 Unternehmen haben sich dort laut eigener Aussage inzwischen registriert, Tendenz steigend.

Fotografie Portrait Mann stehend drinnen
Nur eine kleine Minderheit der Unternehmen ergreift aktiv Massnahmen, um Mitarbeitende übers Rentenalter hinaus im Unternehmen zu behalten.

Befragt nach ihrer Haltung zur Weiterbeschäftigung und zur Neueinstellung von Fachkräften 55+ zeigen sich die potenziellen Arbeitgeber offen, aber zurückhaltend. Die neue Swiss Life-Studie «Arbeit ohne Altersgrenzen?» legt nahe: Viele Unternehmen fahren bisher eine eher passive Personalpolitik 55+. Zwar wünscht sich nur eine Minderheit der Unternehmen Frühpensionierungen. Allerdings ergreifen die wenigsten aktiv Massnahmen, die darauf abzielen, Mitarbeitende möglichst bis zum Rentenalter oder sogar darüber hinaus im Unternehmen zu halten. Oftmals ist den Arbeitgebern erst gar nicht bewusst, dass Teile ihrer Belegschaft durchaus interessiert wären, länger zu arbeiten.

Illustration dreier Personen unterschiedlichen Alters. Eine Hand rahmt die mittlere Person ein und fokussiert auf diese.
Illustration dreier Personen unterschiedlichen Alters. Eine Hand rahmt die mittlere Person ein und fokussiert auf diese.

Arbeit ohne Altersgrenzen?

Personalpolitik 55+ von Unternehmen auf dem Prüfstand

Für Sergio Studer, Gründer der Auto-Abo-Plattform Carify, waren die aktiven Seniorinnen und Senioren ein Glücksfall. Auf der Suche nach zuverlässigem, fahrfreudigem und zeitlich flexiblem Personal, das den Kundinnen und Kunden die bestellten Autos schlüsselfertig bis an die Haustür liefert, stiess er auf Alexis Weils Vermittlungsplattform. Inzwischen sind mehr als 50 Personen nahe dem und bereits im Rentenalter für ihn fix im Einsatz.

Fotografie Mann steht lachend an Strasse
Unsere älteren Mitarbeitenden wünschen Flexibilität. Sie entscheiden, wann, wo und wie viel sie arbeiten möchten. Unser Unternehmen profitiert von ihrer hohen Zuverlässigkeit – aber nicht nur das.

Eine davon ist Susanne. Nachdem Corona ihre selbstständige Tätigkeit in der Erwachsenenbildung abrupt beendet hatte, stand die heute 63-Jährige vor der Herausforderung, ihre letzten Jahre vor dem Ruhestand zu planen. Interessiert an einer Stelle im Büro meldete sie sich bei Carify. Ihren Wunsch nach einem kleinen Teilzeitpensum konnte Sergio nicht erfüllen, schlug ihr aber vor, es als Fahrerin zu versuchen. «Zuerst konnte ich mir nicht viel darunter vorstellen», gibt Susanne zu. «Aber mein erster Einsatz war unvergesslich!» Noch heute, dreieinhalb Jahre später, steht Susanne mit ihrer damaligen Kundin im Kontakt. «Da hat es mich gepackt!» Seither ist die herzliche Seniorin in der ganzen Schweiz unterwegs, um vom VW Polo bis zum Maserati allerlei Autos auszuliefern.

Frau in der Hocke fotografiert Auto in Autogarage
Frau in der Hocke fotografiert Auto in Autogarage
Fotografie Frau fährt ein Auto mit beiden Händen am Lenkrad
Fotografie Frau fährt ein Auto mit beiden Händen am Lenkrad
Fotografie Rückspiegelreflektion einer Frau mit Sonnenbrille beim Autofahren
Fotografie Rückspiegelreflektion einer Frau mit Sonnenbrille beim Autofahren

«Nächstes Jahr werde ich offiziell pensioniert und erhalte im Sommer meine erste AHV-Rente. Das bedeutet aber keineswegs, dass ich meinen Senioren-Job aufgebe. Ich arbeite auf jeden Fall weiter! Zumindest, solange es mir Spass macht.»

Susanne, 63, Carify-Fahrerin

An ihrer Tätigkeit als Fahrerin schätzt Susanne neben der Flexibilität den Kontakt mit den Kunden und die abwechslungsreichen Fahrten quer durch die Schweiz. Und was bringt sie mit zu Carify? «Wir Älteren bringen eine grosse Portion Gelassenheit mit, unsere Lebenserfahrung und auf jeden Fall viel Verantwortung für das Auto.»

Fotografie Seniorin steht lachend in Autogarage
Ich bin gerne unterwegs, brauche den Kontakt zu verschiedenen Menschen und fühle mich noch zu fit, um pensioniert zu Hause zu sitzen oder nur mit dem Hund spazieren zu gehen.

Die Swiss Life-Studie zeigt: Dieser Auffassung sind auch die befragten Schweizer Arbeitgeber. Sie attestieren Bewerbenden 55+ mehr Erfahrung, Fachkompetenz und Zuverlässigkeit als Bewerbenden im Alter 25 bis 40. Allerdings schätzen sie ältere Bewerbende auch tendenziell als teurer, weniger IT-affin und weniger flexibel ein.

«Jein», erwidert Alexis Weil die Frage, ob Berührungsängste im Bereich IT oder der rasanten digitalen Entwicklung ein Thema seien. Die Herausforderung existiere. Doch wer heute mit 55+ eine Stelle suche, sei sich in der Regel bewusst, dass lebenslanges Lernen gefragt sei, um am Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben. Allen Widrigkeiten in der Zusammenarbeit der Generationen zum Trotz: «Am Ende ist es eine Frage der individuellen Eigenschaften», betont Alexis Weil. «Arbeiten bedeutet aktiv bleiben, davon profitiert das Individuum wie die Gesellschaft als Ganzes.»

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