Derzeit gehen die besonders geburtenstarken Babyboomer in den Ruhestand. Dies stellt nicht nur für das Altersvorsorgesystem, sondern auch für den Arbeitsmarkt eine Herausforderung dar. Gemäss einer Umfrage wären viele ältere Arbeitnehmende bereit, über das Referenzalter hinaus zu arbeiten. Die zehnte Swiss Life-Vorsorgestudie «Arbeit ohne Altersgrenzen?» untersucht nun die Personalpolitik 55+ von Schweizer Arbeitgebern und ihre Einstellung zur Erwerbstätigkeit im Rentenalter. Zum Jubiläum sprachen wir mit den beiden Studienautoren Nadia Myohl und Andreas Christen über die spannendsten Ergebnisse – und deren Hintergründe.

Andreas Christen, Nadia Myohl, gemäss Ihrer Studie vor drei Jahren war ein Drittel der Arbeitgeber bereit, Arbeitnehmende im Rentenalter neu einzustellen. Was hat sich seither verändert?

Andreas Christen: Mittlerweile können es sich 43% der Arbeitgeber vorstellen, Personen im Rentenalter neu einzustellen. Der Anteil hat sich also erhöht, wobei zwei Punkte zu berücksichtigen sind: Erstens haben wir die letzte Umfrage im Herbst 2020 mitten in der zweiten Coronawelle durchgeführt. Zweitens haben wir die Frage dieses Mal leicht anders gestellt, indem wir explizit nach der persönlichen Bereitschaft gefragt haben. Beide Faktoren dürften bis zu einem gewissen Grad das Antwortverhalten der Arbeitgeber beeinflusst haben.

Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich in Bezug auf den Arbeitsmarkt der über 55-Jährigen da?

Nadia Myohl: Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen hat sich in den letzten Jahren erhöht – unter anderem auch, weil mehr Frauen arbeiten. Auch im internationalen Vergleich wird hierzulande in dieser Altersgruppe relativ viel gearbeitet. Die Erwerbsbeteiligung der Personen ab 65 stagnierte jedoch in den letzten Jahren, während sie im Ausland weiter angestiegen ist.

Andreas Christen: Diese grundsätzlich positive Einschätzung des Arbeitsmarktes für 55- bis 64-Jährige gilt zudem nur, solange man auch eine Arbeit hat. Zwar wird man in diesem Alter seltener arbeitslos als jüngere Personen, aber es ist im Falle eines Stellenverlusts schwieriger, wieder einen Job zu finden, vor allem zu vergleichbaren Konditionen.
 

«Je älter man wird, desto weniger ist man geneigt, die Stelle noch einmal zu wechseln.»

Fotografie Portrait Mann stehend drinnen

Andreas Christen ist Ökonom und Leiter Research Vorsorge bei Swiss Life Schweiz. Er forscht seit mehr als zwölf Jahren zu unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Themen. Von ihm bereits erschienen sind die Studien «Länger leben, länger arbeiten?», «Länger leben – länger Arbeit geben?», «Vorsorgerisiko Scheidung» und «Gender Pension Gap».

Was halten denn die Arbeitgeber in der Schweiz von älteren Arbeitnehmenden? Können und sollen sie im Rentenalter weiterarbeiten?

Nadia Myohl: Die Arbeitgeber finden, dass über 55-Jährige im Vergleich zu jüngeren Bewerbenden erfahrener und zuverlässiger sind und auch mehr Fachkompetenz zeigen. Zwar liegt aus ihrer Sicht das ideale Pensionierungsalter sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Durchschnitt vor 65, aber auch drei von zehn Arbeitgebern sind der Meinung, dass die meisten Arbeitskräfte gut in der Lage wären, im Rentenalter noch zu arbeiten. Werden sie nach der Einstellung des Unternehmens zur Erwerbstätigkeit im Rentenalter gefragt, zeigen sich die Arbeitgeber mehrheitlich passiv: Zwar ist sie in den meisten Unternehmen möglich, aber nur jeder siebte Arbeitgeber fördert sie aktiv.

Diagramm Beschäftigung im Rentenalter: Bei den meisten möglich – nur bei wenigen aktiv gefördert
Diagramm Beschäftigung im Rentenalter: Bei den meisten möglich – nur bei wenigen aktiv gefördert

Warum verhalten sich die Unternehmen in dieser Frage passiv, obwohl viele angeben, dass eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter möglich wäre?

Andreas Christen: Das dürfte ganz unterschiedliche Gründe haben, die wir nicht im Detail untersucht haben. Wir sehen aber beispielsweise, dass die Erwerbstätigkeit im Rentenalter eher in Unternehmen gefördert wird, wo die Belegschaft tendenziell älter ist, d. h. in Unternehmen, welchen wahrscheinlich in naher Zukunft eine grössere Pensionierungswelle bevorsteht. Vielleicht machen sich solche Unternehmen mehr Gedanken zum Thema Arbeiten im Rentenalter und haben darum eine klarere und positivere Meinung dazu.

Nadia Myohl: Es kann auch sein, dass sie davon ausgehen, dass das Interesse nicht da ist: Sieben von zehn Arbeitgebern denken, dass ihre Mitarbeitenden eher nicht im Rentenalter weiterarbeiten wollen. Bei Arbeitgebern, welche die Erwerbstätigkeit im Rentenalter fördern, ist dieser Anteil tiefer. Das heisst, diejenigen Arbeitgeber, die davon ausgehen, dass ihre Mitarbeitenden gar nicht dazu bereit wären, im Rentenalter zu arbeiten, sind auch diejenigen, die ebendiese Erwerbstätigkeit seltener fördern.

Sie sprechen von länger arbeiten, aber Hand aufs Herz, wollen wir nicht alle lieber früher als später aufhören und wie sieht die Einstellung der Arbeitgeber hinsichtlich Frühpensionierungen aus?

Nadia Myohl: Nicht unbedingt. Unsere letzte Studie «Lang lebe die Arbeit?» hat gezeigt, dass die Mehrheit der älteren Erwerbstätigen in einer idealen Welt gerne vor 65 in Rente gehen würde. Jedoch ist auch fast jeder zweite unter Umständen bereit dazu, über das Referenzalter hinaus zu arbeiten. Bei den Arbeitgebern beobachten wir beim Thema Frühpensionierungen ein ähnlich passives Muster wie bei ihrer Einstellung zur Erwerbstätigkeit im Rentenalter: Nur wenige Arbeitgeber wünschen sich, dass Mitarbeitende in Frühpension gehen, oder fördern dies sogar aktiv. Aber auch nur wenige ergreifen Massnahmen, damit die Mitarbeitenden möglichst bis zum Referenzalter im Betrieb bleiben.

Illustration dreier Personen unterschiedlichen Alters. Eine Hand rahmt die mittlere Person ein und fokussiert auf diese.
Illustration dreier Personen unterschiedlichen Alters. Eine Hand rahmt die mittlere Person ein und fokussiert auf diese.

Arbeit ohne Altersgrenzen?

Personalpolitik 55+ von Unternehmen auf dem Prüfstand

Wer im fortgeschrittenen Alter seinen Arbeitsplatz verliert, hat es oft schwer, wieder eine vergleichbare Stelle zu finden. Wie sehen das die Unternehmen, stellen sie überhaupt noch über 55-Jährige ein?

Andreas Christen: Rund vier von fünf Arbeitgebern können es sich persönlich vorstellen, Mitarbeitende einzustellen, die das 55. Altersjahr schon erreicht haben. Interessanterweise geht jedoch nur die Hälfte der befragten Arbeitgeber davon aus, dass im eigenen Unternehmen die Bereitschaft hoch ist, Mitarbeitende ab 55 neu einzustellen.

Nadia Myohl: In Arbeitsmarktdaten sehen wir: Die Neueinstellungen in dieser Altersgruppe sind seltener als bei jüngeren Personen, aber sie finden dennoch statt: Jede zwölfte neu eingestellte Person war 2023 mindestens 55 Jahre alt. Da jedoch Personen dieser Altersgruppe 23% aller Erwerbstätigen ausmacht, werden sie relativ gesehen schon seltener neu eingestellt als Jüngere. Das liegt aber nicht nur an den Arbeitgebern. Wir sehen in unseren Umfragen auch, dass die Bereitschaft von über 50-Jährigen, vor der Pensionierung nochmals die Stelle zu wechseln, mit zunehmendem Alter stark sinkt.

«Aus Sicht der Arbeitgeber bringen Ältere mehr Erfahrung, Fachkompetenz und Zuverlässigkeit mit als Jüngere.»

Fotografie Portrait Frau stehend drinnen

Dr. Nadia Myohl ist seit 2023 Researcher Vorsorge und Studienautorin bei Swiss Life Schweiz. Von ihr bereits erschienen sind die Studien «Verliebt, verlobt, versorgt?», «Lang lebe die Arbeit?» und «Arbeit ohne Altersgrenzen?». Zuvor forschte und publizierte die promovierte Ökonomin an der Universität St. Gallen u. a. zum Effekt der sogenannten Heiratsstrafe.

Der Fachkräftemangel ist ein viel diskutiertes Thema. Spielt er in der Personalpolitik 55+ eine Rolle?

Andreas Christen: Interessanterweise nicht so sehr, wie man vielleicht erwarten würde. Zwar gibt rund die Hälfte der Arbeitgeber an, dass sie Schwierigkeiten haben, qualifizierte Fachkräfte zu finden, aber nur 13% fördern die Weiterbeschäftigung von Mitarbeitenden im Rentenalter als Massnahme zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Etwas mehr – 22% – stellen hierfür ältere Mitarbeitende ein. Weshalb diese Werte so tief sind, ist nicht klar. In gewissen Unternehmen dürfte der Fachkräftemangel noch nicht so spürbar sein, dass sie darum aktiv werden müssen. Andere Unternehmen erachten vermutlich andere Strategien und Massnahmen als zielführender.

Diagramm Weiterbeschäftigung im Rentenalter steht zur Deckung des Fachkräftebedarfs nicht im Zentrum
Diagramm Weiterbeschäftigung im Rentenalter steht zur Deckung des Fachkräftebedarfs nicht im Zentrum

Wenn nicht durch das Arbeiten im Rentenalter, wie kann der Bedarf an Fachkräften sonst gedeckt werden?

Nadia Myohl: Die Weiterbildung von Mitarbeitenden und die Ausbildung von Lernenden sind beliebt bei den von uns befragten Arbeitgebern. Sie erwähnen auch oft Massnahmen, die zu mehr Flexibilität bei den Mitarbeitenden führen, wovon natürlich auch ältere Mitarbeitende profitieren: Teilzeit, Jobsharing, Homeoffice, aber auch familienfreundliche Arbeitsplätze. Allgemein kann man also sagen, dass die Arbeitgeber zwar nicht spezifisch den Fokus auf ältere Mitarbeitende legen. Das heisst aber nicht, dass sie gar nichts unternehmen, um diese im Unternehmen zu halten.

Erwerbstätigkeit im Rentenalter: Die Arbeitgeber sind nicht grundsätzlich dagegen, gut die Hälfte der Erwerbstätigen wären unter Umständen bereit dazu. Dennoch denken die Arbeitgeber nicht, dass sie das wollen. Woher kommt diese Diskrepanz?

Andreas Christen: Das ist schwierig zu sagen und dürfte viele Gründe haben. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden zu wenig darüber reden. Zum Beispiel ist es nur bei einer Minderheit der Arbeitgeber üblich, dass sie mit ihren älteren Mitarbeitenden über deren Pläne bezüglich Pensionierungszeitpunkt reden. Auch meldet die Mehrheit der von uns befragten Pensionierten, dass sie nicht von ihrem Arbeitgeber darauf angesprochen wurden.

Nadia Myohl: Aber auch das Verhalten der Arbeitnehmenden spielt eine Rolle. Fast die Hälfte wäre unter Umständen bereit dazu, weiterzuarbeiten. Diese Bereitschaft scheint aber bei vielen Arbeitgebern nicht anzukommen. Das weist allenfalls darauf hin, dass auch die Kommunikation von Arbeitnehmenden in Richtung Arbeitgeber noch verbessert werden könnte, indem sie beispielsweise von sich aus das Thema Pensionierungszeitpunkt proaktiv ansprechen.

Andreas Christen: Der Fachkräftemangel dürfte sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren noch verstärken. Es ist gut möglich, dass dies etwas mehr Schwung in den Arbeitsmarkt für ältere Erwerbstätige bringt und die Arbeitgeber von sich aus aktiver mit ihren älteren Mitarbeitenden über dieses Thema sprechen: Länger arbeiten – ja oder nein?

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