Die gebürtige Tessinerin Cristina Bellucci liebt ihren künstlerischen Beruf als selbstständige Architektin. Was für sie Werterhaltung und selbstbestimmtes Wohnen bedeutet und welche Tipps sie Besitzerinnen und Besitzern von Wohneigentum mit auf den (Lebens-)Weg gibt, verrät uns die Wahlzürcherin im Q&A.
Für die aufstrebende Architektin Cristina Bellucci gibt es kein Gebäude, das nicht umgebaut oder renoviert werden kann. «Eigentlich fängt direkt dort mein Job an. Das scheinbar Unmögliche möglich zu machen und mit viel Kreativität nachhaltigen Wohnraum zu erschaffen.» Die bewusste Entscheidung für Qualität ist dabei eine Grundprämisse für sie. So kann man lange, im besten Fall generationenübergreifend, sein Zuhause geniessen.
Wie selbstbestimmt bist du in deinem Beruf?
Cristina: Seit ich selbstständig bin, kann ich mich zu 100% entfalten. Ich kann selbst entscheiden – insbesondere über die Fragen was und wie. Für mich ist das besonders bei künstlerischen Jobs ein Muss. Es ist mir wichtig, dass ich Projekte realisieren kann, die meinen Werten entsprechen. Nur so kann ich gemeinsam mit der oder dem Auftraggebenden einzigartigen Wohnraum erschaffen.
Welche Immobilie ist für dich die schönste, die es gibt? Und weshalb?
Cristina: Es gibt unzählige schöne Häuser oder Skulpturen. Wenn es um das Nonplusultra geht, kommt mir das «Casa de Vidro» von Lina Bo Bardi in den Sinn. Lina Bo Bardi ist eine brasilianische Architektin, die in der Nachkriegszeit viele schöne Gebäude entworfen hat. Das «Casa de Vidro» ist ihr eigenes Haus und heisst übersetzt «Haus aus Glas».
Das Haus hat an gewissen Stellen rundum verlaufende Glasfronten und dadurch einen maximalen Bezug zum Aussenraum. Man ist drinnen und hat das Gefühl, draussen zu sein. Gleichzeitig verfügt das Haus über weniger exponierte Räume, die einem die notwendige Privatsphäre gewähren. Ein wunderschönes Detail ist der Baum inmitten des Hauses. Dieser existierte schon vor dem Bau und wurde als Lichthof in der Mitte des Hauses integriert.
Lina vollendet ihr Werk mit individuell für das Haus entworfenen Möbeln, die eine Mischung ganz verschiedener Stilrichtungen sind. Ob Raum oder Möbel – vice versa ergänzt sich das für mich zum perfekten Wohntraum.
Was ist für dich der grösste Wohn-Fauxpas?
Cristina: Falsch proportionierte Räume! In der Schweiz gibt es unzählige Räume, die 2,40 m hoch sind. Dies ist das gesetzliche Minimum in der Schweiz und eine sehr unvorteilhafte Proportion. Denn verhältnismässig ist das viel zu tief für einen Raum. Im italienischen Kulturraum – den ich gut kenne, da ich aus dem Tessin bin – sind die Räume hoch. Das schafft grosszügige Räume. Aber auch tiefe und kleine Räume können reizvoll sein, wenn die Proportionen stimmen. Das kennt man zum Beispiel vom Niederdorf in Zürich. Dort gibt es Räume, die nur 2,10 m hoch sind.
Wenn ich entscheiden dürfte, würde ich die gesetzlich vorgegebene Höhe ändern. Denn viele halten sich daran, vor allem Investoren, die wirtschaftlich denken. Bereits zehn oder 15 Zentimeter mehr würden viel ausmachen. Das wäre zwar immer noch tief, aber nicht mehr ganz so unproportional.
Darüber hinaus kritisiere ich gross angelegte Neubauten, bei denen alles gleich aussieht. Dadurch verlieren Wohnungen und Häuser ihren Charakter. Es gibt immer wieder die gleichen Einrichtungen: weisse Küchenfronten, graue Fliesen und Laminat-Boden. Auch Fassaden gehören dazu, welche alle gleich aussehen. Es fehlt an Tiefe, weshalb das beliebte Schatten-Licht-Spiel verloren geht. Und nicht nur der Wohnstil leidet, auch das Stadtbild, welches durch die langweiligen Aussenräume an Charme und Reiz einbüsst.
Worauf muss ich achten, wenn ich nicht mehr zur Miete wohne, sondern Eigentum habe?
Cristina: Als Eigentümer oder Eigentümerin sollten Sie eine starke Liebe zu Ihrem Haus oder Ihrer Wohnung entwickeln. Es kommt dabei nicht darauf an, was Sie besitzen – das kann auch ein Tiny House oder eine Baumhütte sein.
Eigentum bedeutet für mich Kulturgut. Es ist etwas Langfristiges, das bleibt. Deshalb hat man eine gewisse Verantwortung der bestehenden Kultur gegenüber. Hierzu gehören zum Beispiel Stuck oder Wandmalereien. Es ist wichtig, die traditionellen Baukulturen zu erhalten und nicht darüber hinwegzurenovieren oder hinwegzumalen. Der Respekt gegenüber der Kultur sollte auch beim Umbau beachtet werden. Ich lege allen ans Herz, den Bestand zu berücksichtigen und das Maximum herauszuholen.
Worauf sollte man beim Umbau oder auch beim Bau achten?
Cristina: Immer Qualität statt Quantität bevorzugen! Nehmen Sie lieber kleine Umbauten vor anstatt grosse Projekte, bei denen Sie sparen müssen. Sollte das der Fall sein, empfehle ich, lieber langfristig zu denken und in mehreren Etappen zu planen, sodass wieder genug Budget da ist, um hochwertig zu bauen. Man kann nur mit qualitativen Materialien und schönen Proportionen gute Räume erschaffen, die erhalten bleiben und langfristig Freude bereiten.
Zudem sollten Sie bei der Wahl des Bauunternehmens nicht nur den Preis als Entscheidungskriterium berücksichtigen. Wenn man hier an der falschen Stelle spart, könnte dies zu schwerwiegenden Bauschäden führen. Auch die Architektenwahl sollten Sie sich gut überlegen, damit Sie keine Nullachtfünfzehnsachen erhalten, sondern kreativ gestalteten Wohnraum schaffen.
Was sollte man besser wissen, bevor man umbaut oder baut?
Cristina: Beim Umbauen ist es wichtig, die Planungsphase sorgfältig und nachhaltig durchzuführen. In der Regel sind Pläne vorhanden. Diese sollten Sie unbedingt studieren und kontrollieren! Gehen Sie mit dem Doppelmeter auf die Baustelle und prüfen Sie, ob die Wand tatsächlich so dick ist wie angegeben oder der Abstand zwischen den Wänden wirklich die angegebenen Masse hat. Prüfen Sie ausserdem die Lage der Leitungen, sonst könnte es unschöne Überraschungen geben.
Natürlich gibt es Bautoleranzen, auch noch heutzutage. Beim Altbau sind die Abweichungen aber weitaus grösser. Denn damals waren Ausmessungen noch nicht digitalisiert. Es wurde viel gröber gemessen.
Zudem sollten Sie vorab genügend Reserven einkalkulieren. Es kann immer wieder zu Unvorhergesehenem kommen. Bei einem Neubau kann man das genauer definieren, aber beim Umbau weniger. Ich als Architektin kalkuliere bei der ein oder anderen Position etwas mehr Kosten ein, um bei solchen Situationen einen Puffer zu haben. Der Kunde oder die Kundin zahlt insgesamt nicht mehr, es wird nach Ausgaben abgerechnet, aber so kann man vorsorgen, dass am Ende die Zahlen stimmen.
Wie wichtig ist es, beim Umbau auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu achten?
Cristina: Es ist sehr wichtig und wird immer wichtiger. Für mich gehört es einfach dazu und muss (noch mehr) in die Köpfe der Gestalterinnen und Gestalter sowie der Bauherren einfliessen. Ich bin froh, dass die Nachfrage danach und nach den dazu benötigten Produkten auf dem Markt immer höher wird. So werden Solarpaneele oder ähnliche nachhaltige Elemente erschwinglich und sind nicht nur der Elite zugänglich, sondern allen.
Nachhaltigkeit bedeutet für mich Beständigkeit. Wir sind dann nachhaltig, wenn wir Häuser nicht abreissen oder «gross» umbauen müssen. Deshalb sollte man von Anfang an qualitativ und langfristig bauen. Gute Räume, schöne Fassaden und hochwertige Aussenräume, in denen man lange – generationenübergreifend – leben kann.
Wie finanziere ich meinen Umbau?
Unsere Expertinnen und Experten unterstützen Sie gerne bei der Wahl der zu Ihnen passenden Finanzierungsmöglichkeit.
Was kann ich tun, um den Wert meiner Wohnung oder meines Hauses zu halten oder sogar zu steigern?
Cristina: Versuchen Sie, wenn immer möglich, wertige Räume zu erschaffen, die schön proportioniert und aus guten Materialien gebaut sind. Wenn man es einmal richtig macht, dann hält das für hundert Jahre. Unsere Generationen nach uns werden uns danken. Das zahlt auch in die Nachhaltigkeit mit ein.
Ich kann es einem nur ans Herz legen, so gut wie möglich, so schön wie möglich und mit so viel Qualität wie möglich zu bauen. Dann kommt die Wertsteigerung von allein. Wenn man es einmal richtig macht, muss man nicht alle 20 Jahre umbauen und wieder Geld reinstecken.
Wann ist auch ein Umbau nicht mehr möglich, um den Wohnraum aufzuwerten?
Cristina: Hoffentlich nie! Denn es ist immer alles möglich. Und eigentlich fängt direkt dort mein Job an. Das scheinbar Unmögliche möglich zu machen und mit viel Kreativität und Individualität etwas Nachhaltiges zu erschaffen.
Selbst an der am stärksten befahrenen Strasse kann man Lösungen finden. Man muss nur aus dem Problem eine Tugend machen. Das Problem ist der Lärm, die Tugend ist die richtige Architektur. Von der Bauphysik her weiss man, dass sich der Lärm konisch in der Höhe entwickelt. Deshalb wählt man eine Abstufung im Haus. Oder man wählt mehr Substanz, je mehr Material, desto mehr kann es an Lärm aufnehmen. Oder man reagiert vom Programm her und plant an dieser Strasse keine Schlafräume, sondern die Küche und das Bad. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.
Wie wird Wohnraum zu einem Zuhause?
Cristina: Indem man auf allen Ebenen eine passende Atmosphäre schafft und so viele Sinne wie möglich berücksichtigt. Ein schönes Design in Form von sorgfältig ausgesuchten Farben, Materialien und Proportionen trifft den Seh- und den Tastsinn. Ein besonderer Raumduft oder essenzielle Öle wecken den Geruchs- und den Geschmackssinn. Ich mag es zum Beispiel, wenn das Schlafzimmer nach Lavendelöl riecht und das Badezimmer nach frischer Zitrone. Auch den Gehörsinn kann man miteinschliessen, indem man mit einem guten Soundsystem gemütliche Musik spielt, die den Wohlfühlfaktor noch einmal mehr untermalt. Man kann hier sehr spielerisch vorgehen und dafür sorgen, dass das Wohnen zu etwas Besonderem wird, egal wie viele Quadratmeter zur Verfügung stehen.
Es geht um die Konzentration auf wenige Sachen, die für sich sprechen. Es muss dabei weder teuer noch luxuriös sein. Und es geht um Grosszügigkeit, wozu auch kleine, gut proportionierte Räume gehören können.
Was denkst du, wie wird sich das Wohnen (im Eigenheim) in Zukunft weiterentwickeln?
Cristina: Ich denke, wir werden immer dichter bauen (müssen). Das heisst unter anderem in die Höhe. Vor allem in den dicht besiedelten Gebieten. Wir wollen nicht noch mehr in die Fläche wachsen und längere Zeiten pendeln. Ich denke je kompakter wir wohnen, desto mehr Qualität haben wir.
Und je kompakter wir wohnen, desto mehr gewinnen kleine Parks oder Gärten an Charme. Denken wir an Venedig. Wenn man dort mit dem Schiff vorbeifährt und zwischen den dichten Häuserreihen einen kleinen Garten entdeckt, dann erhält dieser etwas Grosszügiges. Dabei sind es vielleicht nur 20 Quadratmeter. Oder zum Beispiel der Idaplatz in Zürich, der ist stadtweit bekannt, weil es dort dicht besiedelt ist und schöne Proportionen rundherum liegen, auch wenn der Platz an sich nicht gross ist.
Wohnen wird sich immer mehr verändern, weil wir immer mehr Menschen sein werden. Die Schweiz befindet sich noch in einer schönen Position verglichen zu Grossstädten wie São Paulo oder Schanghai. Nichtsdestotrotz wird der Wohnraum in Quadratmetern gezählt knapper werden. Die Grosszügigkeit büsst dabei aber nicht ein. Mit höheren Räumen oder kleinen, privaten Aussenräumen wird der Wohnraum aufgewertet.
Ferner glaube ich, dass es viele neue Wohnkonzepte geben wird. Ich denke hier an Sharing. Wenn wir sicherstellen können, dass die Privatsphäre des Einzelnen gewährleistet bleibt, kann man hier weit denken. Je nach Lebensphase kann das sogar eine Lebensbereicherung sein.
Über Cristina Bellucci
Cristina Bellucci absolvierte 2013 ihren Master in Architektur an der ETH Zürich. Praxiserfahrung sammelte sie beim international renommierten Schweizer Architekten Valerio Olgiati in Flims, Entwurfserfahrung im Designstudio von Peter Märkli, Auslandserfahrung bei einem Aufenthalt in São Paolo. Seit 2016 arbeitet die Tessinerin als selbstständige Architektin. Sie verfolgt einen ganzheitlichen Arbeitsansatz, indem sie auch Innenräume und passende massgeschneiderte Möbel entwirft.
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Bildquelle: Porträtbilder: Elisa Florian, Evgenia Pronina; Architekturbilder: Douglas Mandry