«Der Jugend gehört die Welt!», heisst es. Heute wollen mehr Jugendliche als je zuvor diese Welt politisch mitgestalten. Bänz Friedli war mit 20 einst selbst der jüngste Gemeinderat der Schweiz und ist heute Vater einer politisierenden Tochter. Der Kabarettist und Autor findet, wir sollten unbedingt auf die Jungen hören.

Wieder ein Couvert voller Abstimmungszettel, kommunal, kantonal, national. Auch eine Richterin ist zu bestimmen; und die Kirchgemeinde ruft zu einer Wahl auf. Wie stets möchte ich das rasch erledigt haben und rufe aus der Küche: «Wie muss man da stimmen?»

Die 21-jährige Tochter gibt Antwort. Genauer: Sie gibt Anweisungen. «Ja. Ja. Nein. Ja», ruft sie durch die Wohnung, «dann bei der Stichfrage das B…» Sie kennt sich in den meisten Themen besser aus als ich. Als sie mit knapp 20 das Präsidium einer Jungpartei übernehmen wollte, fragte ich: «Willst du dir das wirklich antun? Willst du wirklich in die Politik?» – «Was hast du denn mit 20 getan?», war ihre Gegenfrage. Und ich war schachmatt. Sie wusste: 1985 war ich für eine grüne Bürgerinitiative indie Exekutive einer Berner Vorortsgemeinde gewählt und als «jüngster Gemeinderat der Schweiz» von «Brückenbauer» bis «Zischtigs-Club» durch die Medien gereicht worden. Der Schnösel mit dem Nackenzöpfchen, der keck verkündete: «Ich gehe mit Punch an die neue Aufgabe!»

Willst du dir das wirklich antun? Willst du wirklich in die Politik?
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Bänz Friedli (55), Autor und Kabarettist, war von 1985 bis 1990 in Wohlen BE der jüngste Gemeinderat der Schweiz. Erinnerungen an damals fliessen noch immer in seine Programme ein. Friedli lebt mit seiner Frau und den erwachsenen Kindern in Zürich. www.baenzfriedli.ch

Als Erstes wollte ich der Bevölkerung die Velonummern gratis abgeben. Ich wurde überstimmt. Die Ratsmehrheit ärgerte sich, dass ich «Stürmisiech» die Sitzungen verlängerte und man nicht mehr so früh im «Kreuz» beim Beaujolais war wie ehedem. Alles glaubte ich besser zu wissen. Und kniete mich in die Dossiers. Meine Abänderungsanträge zu Überbauungsordnungen und Blockheizkraftwerken waren gefürchtet, wurden aber stets abgeschmettert. Ich sei unanständig, hiess es. Ein Killerargument, das gar kein Argument war – «unanständig». Einzig Martin, ein freisinniger Architekt, nahm mich zuweilen in Schutz: «Präsidentin, geschätzte Anwesende! Den Antrag, den Kollege Bänz stellt, kann man durchaus stellen, er ist sachlich richtig. Nur bin ich anderer Meinung.» Abgelehnt mit 8 zu 1, es blieb dabei. Mal flogen Bundesordner, mal die Fäuste.

Im Rat ging es zu wie im hölzernen Himmel. Das war Demokratie live, und die kleine Erfahrung lässt mich seither an der grossen Politik zweifeln.

Im Rat ging es zu wie im hölzernen Himmel. Und als ein Volksparteiler mich als «verdammte Soulugihung» titulierte, als Drecksaulügner, und ich die Schmähung protokolliert haben wollte, stand eine Woche später im Protokoll: «Der Rat beschliesst mit 8 zu 1: Den unschönen Ausdruck, den GDR Friedli protokolliert haben möchte, hat niemand gehört oder gesagt.» Das war Demokratie live, und die kleine Erfahrung lässt mich seither an der grossen Politik zweifeln.

Nach vier Jahren, um viele Illusionen ärmer und 30 Kilo schwerer – der fehlende Schlaf, die Pommes-frites nach den Sitzungen, der Mangel an Ausgleich, an Sport –, beendete ich die Politikerlaufbahn so abrupt, wie ich sie begonnen hatte.

Bang und erfreut zugleich verfolge ich heute, wie die Jugend wieder Politik macht. Die jüngste Zürcher Kantonsrätin ist 19, ein 25-Jähriger bewarb sich für das Präsidium der SP Schweiz, in der Exekutive von Schwarzenburg BE übernahm 2019 eine 21-Jährige das Finanzressort, im neuen Nationalrat sitzen ein 25-jähriger Freisinniger und eine 26-jährige Grüne. Und zu Zehntausenden gehen sie auf die Strasse, Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, angespornt von einer Schwedin, die 15-jährig war, als sie den «Skolstrejk för Klimatet» startete. Eine bunte Koalition, überparteilich, ausserparlamentarisch, nicht antipolitisch, aber doch fordernd, skeptisch. Und vorwurfsvoll. Diese Klimaaktivisten diskutieren mit ihren Eltern, sie hinterfragen, woran wir Älteren uns so wohlig gewöhnt haben: rasch hier- und dorthin zu jetten, per Billigflug übers Wochenende; Bio-Avocados aus Übersee zu konsumieren; im T-Shirt in der überheizten Wohnung zu hocken. Und was tun sie, diese Jugendlichen? Sie nehmen den Nachtzug nach Kopenhagen, planen Pfadilager mit dem Ziel, null Abfall zu produzieren und sämtliche Verpflegung von Bauern vor Ort zu beziehen, erkunden den Kontinent per Eisenbahn, statt im Auto zu fahren. Engagiert, aufrichtig, konsequent. Sie werden nicht lockerlassen, diese «Kinder».

Engagiert, aufrichtig, konsequent. Sie werden nicht lockerlassen, diese ‹Kinder›.
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Die Jungen mischen sich wieder in die Politik ein.

Wie hätte ich meiner Tochter von der Politik abraten wollen? Wo wir uns doch ein Beispiel nehmen sollten an dem unbändigen Willen dieser jungen Leute, die Zukunft zu gestalten? Manche Jungpolitiker sorgen sich vor allem um die eigene Zukunft, um finanzielle Absicherung, Luxus, Lebensstandard. Die meisten jungen Leute jedoch denken grösser: gesamtgesellschaftlich, global. Und ihre Themen erinnern mich frappant an diejenigen des Junggemeinderats mit Nackenzöpfchen: Schutz des Kulturlandes, Förderung alternativer Energien, verdichtetes Bauen, Sorge um die Umwelt. Und: Gleichstellung der Geschlechter. Nur dass damals derjenige mit der grossen Schnauze ein junger Mann war, ich. Heute stellen die jungen Frauen sich selber hin. Ich staune, wie sie den Anfeindungen trotzen, die in digitaler Zeit rund um die Uhr auf sie einprasseln. Dauernd gilt es, via Facebook, Instagram und Twitter Stellung zu beziehen, immer erschallt postwendend Widerspruch. Postwendend heisst hier: Kaum ist ein Post online, wird er kritisiert.

Wenn ‹Anstand› Stillstand bedeutet, Rückschritt gar, dann braucht es Unanständige.

Diese Jungen können einstecken und austeilen. Sie können debattieren. Und wenn sie die Generation ihrer Eltern kritisieren, uns, sollten wir uns hüten, sie für unanständig zu halten. Wenn «Anstand» Stillstand bedeutet, Rückschritt gar, dann braucht es Unanständige. Sie mögen unverfroren sein, aber sie sind nicht frech. Sie mögen unverschämt klingen – schamlos sind sie nicht. Oft utopisch, aber nie illusorisch. Diese Jungen bleiben dran. Sie geben ihre ganze Freizeit her, lassen sich in Gremien wählen. Und führen den Diskurs weiter, dessen ich so müde bin.

Meine Tochter? Nervt manchmal mit ihrer Forschheit. Aber das ist gut so.

Text: Bänz Friedli
Bild: Indra Crittin

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