Zweimal pro Jahr finden die Claims Days statt. Eine beliebte Fachtagung rund um die Themen Arbeit, Reintegration und Erwerbsunfähigkeit, welche Swiss Life für ihre Kunden und Mitarbeitenden schon seit über zehn Jahren organisiert.
Im Schatten der Erkrankung:
Ein Perspektivenwechsel
Sie stehen mitten im Geschehen und agieren dennoch meist ungesehen im Schatten, in den Medien werden sie auch als „unsichtbare Helden“ bezeichnet: Die Rede ist von Angehörigen von Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Die Herbstausgabe 2024 der Claims Days rückte die Angehörigen ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wagte damit einen Perspektivenwechsel.
Laut jüngsten Studienergebnissen befinden sich in der Schweiz aktuell über zwei Millionen Menschen in der Rolle der Angehörigen eines psychisch erkrankten Familienmitglieds oder unterstützen eine betroffene Person aus dem sozialen Umfeld. Als Angehörige tragen sie vieles mit und halten einiges aus, während sie ihren Liebsten gleichzeitig beistehen. Damit haben sie eine massgebende Bedeutung sowohl im Leben von Menschen mit einer psychischen Erkrankung als auch für die Gesellschaft.
Das erste Referat des Sozialepidemiologen und kantonalen Gesundheitsberichterstatters Prof. Dr. Oliver Hämmig zeigte den Status quo von psychischen Erkrankungen in der Schweiz auf. „Besonders alarmierend ist der Zustand von Teenagern“, betonte Hämmig gleich zu Beginn. Denn psychische Erkrankungen seien jüngst in keiner anderen Altersgruppe so verbreitet und hätten so stark zugenommen wie bei den 14-19-Jährigen. Besonders aufhorchen liess der Befund, dass gemäss einer Unicef-Studie in dieser Altersgruppe bereits jede elfte Person der Befragten einen Suizidversuch unternommen hatte. Mit Blick auf diese Entwicklungen wird zudem deutlich, dass in den letzten Jahren auch eine Zunahme an Einsamkeitsgefühlen in der Bevölkerung zu verzeichnen ist. Als weitere Einflussfaktoren für psychische Erkrankungen erwähnte Oliver Hämmig das Geschlecht, Alter, den Bildungs- und Erwerbsstatus. Der zeitliche Trend zeigt eine deutliche Verschlechterung der psychischen Gesundheit, insbesondere bei Frauen und Jugendlichen. In der Wissenschaft sei gar von einer „mental health crisis“ die Rede.
Mittendrin und doch am Rande
Nach dieser inhaltlichen Grundlage wurde der Fokus mit dem zweiten Referat von Christian Pfister auf die Perspektive der Angehörigen gerichtet. Der ehemalige Leiter Kommunikation der Swiss Life-Gruppe engagiert sich als Co-Präsident im Verein Stand by You Schweiz, einer Dachorganisation für Angehörige und Vertraute von Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Seine Motivation, sich sowohl für Angehörige als auch eine nachhaltige Psychiatrie einzusetzen, ist persönlichen Ursprungs: Die Rolle des Angehörigen ist ihm vertraut durch zwei nahestehende Familienmitglieder, die im Verlauf ihres Lebens psychisch erkrankt sind. Engagiert verdeutlichte er das Spannungsfeld im Leben der Angehörigen, verbunden mit der Schwierigkeit, dass Angehörige in der Gesellschaft oftmals keine Stimme hätten. „Doch manchmal ist in der Stille ein Donnerwetter“, fuhr er fort und kam damit auf die Gefühlslage von Angehörigen zu sprechen, die oftmals von Angst und Sorge um ihre Liebsten, aber auch von Scham geprägt sei. In Anbetracht des Umstands, dass ein Drittel der Angehörigen im Laufe der Zeit selbst eine psychische Erkrankung entwickle, seien Unterstützungsangebote zentral. Eine Helpline für Angehörige, eine Podcast-Serie und eine Community Plattform sind geplante Projekte, die hier ansetzen.
Gleich zwei Perspektiven – jene des Betroffenen und jene des Angehörigen – brachte Remo Schraner ein: Eindrücklich zeigte er auf, wie er die psychische Erkrankung aus beiden Perspektiven erlebte. Darin sah er einige Parallelen wie beispielsweise der erlebten Isolation, Loyalität und Gefühlen der Überforderung, Wut und Hoffnung. In einem Blog schrieb er mehrere Jahre über seine Depressionen und machte seine Diagnose damit öffentlich. Er sieht diesen offenen Umgang als Ressource, die ihm beruflich Türen öffnete, sei es mit Einladungen zu Podiumsdiskussionen oder in seiner Studien- und Forschungstätigkeit im Bereich der Gesundheitswissenschaften. So sei eine offene Kommunikation auch mit dem Arbeitgeber zentral, um einen für beide Seiten passendenden Rahmen zu schaffen.
Ein Plädoyer für mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen
Die von der Psychotherapeutin Christine Wolfer moderierte Podiumsdiskussion gab im Anschluss allen drei Referenten zusammen mit Eva Sager von Social Care Consulting (Swiss Life) die Möglichkeit, ihre Perspektiven einzubringen und zu diskutieren. Eva Sager betonte das Spannungsfeld im Arbeitsmarkt zwischen Selektion und Integration von Mitarbeitenden mit einer psychischen Erkrankung. Hier sei die Zusammenarbeit mit der Eidg. Invalidenversicherung und Ärzten/Therapeuten zentral. „Wir kommen nicht weiter, wenn wir die Linien nicht weicher ziehen“, betonte Christian Pfister in Bezug auf Betroffene, die so viel mehr seien als ihre Diagnose und Möglichkeiten bräuchten, um wieder in Partizipation am Arbeitsleben zu kommen. Mit Blick auf Angehörige wurde ein offener Umgang mit dem Vorgesetzten oder Vertrauensstellen empfohlen. Dem gegenüber stehen oft der eigene Anspruch, weiter zu funktionieren und erlebte Schamgefühle. In Anbetracht der Lebenszeitprävalenz von 50%, wonach jede zweite Person in ihrem Leben irgendwann psychisch erkrankt, kämen gemäss Oliver Hämmig letztlich alle in irgendeiner Form damit in Berührung, ob als Angehörige oder Betroffene. Beim Plädoyer für mehr Offenheit waren sich alle einig, worauf Christian Pfister aus seiner Erfahrung äusserte: „Nur schon darüber sprechen können ist ein magischer Moment“.
Claims Day - Sinn und Zweck
Frühere Anlässe
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