Plattformen für Frauen über 50, die das längere Leben feiern, sind im Trend. Lorraine C. Ladish, die Gründerin von VivaFifty.com erklärt, warum sie die Community lanciert hat und wie Frauen der Babyboomer-Generation das Alter neu erfinden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Viva Fifty zu gründen?
In der Finanzkrise von 2008/2009 verlor ich alles. Meine Ehe, mein Einkommen, mein Erspartes. Mit 45 Jahren musste ich für mich und meine zwei kleinen Kinder Sozialhilfe beziehen und nochmals von vorne beginnen. Ich richtete meine Karriere neu aus und wurde freiberufliche Chefredakteurin einer Onlinepublikation für lateinamerikanische Mütter. Zudem heiratete ich die Liebe meines Lebens und gründete eine Patchworkfamilie. 50 war für mich also ein gutes Alter, um meine Träume zu verwirklichen. So kam ich auf VivaFifty.com.

Was ist die Idee dahinter?
Ich finde es schade, wie Frauen Zeit und Energie damit verschwenden, sich übers Alter Sorgen zu machen. Anfangs sollte die Plattform Frauen über 50 bestärken und inspirieren – auf Englisch und auf Spanisch, denn ich bin Spanisch-Amerikanerin. Dann merkte ich, dass mir auch jüngere Frauen auf anderen Plattformen wie Instagram folgten, weil ich dort meine Yoga-Fotos poste. Sie sagen mir, dass ich ihnen die Angst, 40 oder 50 zu werden, genommen hätte. Ich sehe es jetzt als meinen Auftrag, Frauen über 35 zu bestärken und zu inspirieren, denn dies ist das kritische Alter für Schwangerschaften. Ich war zweimal schwanger in diesem Alter und alles lief gut.

Ihre Community ist schnell gewachsen. Warum?
Ich habe ein eingespieltes Team aus Autoren, Social-Media-Managern und einen fähigen Geschäftsführer. Der wichtigste Grund ist wohl, dass wir konsequent Inhalte publizieren, mit denen sich Frauen identifizieren können. Unsere Inhalte sind nicht dieselben auf Englisch und auf Spanisch, denn Frauen unterschiedlicher Kultur und Sprache wollen unterschiedliche Dinge. Auf der spanischen Seite suchen Frauen die Bestätigung, dass sie auch nach 40 noch etwas aus ihrem Leben machen können. Auf Englisch sind sie eher an persönlichen Erzählungen interessiert und wollen lesen, wie andere Frauen mit Veränderungen im Leben umgehen.

Sie publizieren wöchentlich Artikel und Posts zu Themen wie Gesundheit, Beziehung oder Finanzplanung. Welche Themen interessieren Frauen am meisten?
Unser beliebtestes Thema auf Spanisch dreht sich um Beziehungen, darum, wie man in Form bleibt oder mit hormonellen Veränderungen umgeht. Auf Englisch geht es mehr um Fitness, Gesundheit und Reisen. Geld- und Karrierefragen sind in beiden Sprachen beliebt.

Wovon träumen Frauen und was bereitet ihnen Sorgen?
In Beziehungsfragen wollen sie wissen, wann es Zeit ist, einen Schlussstrich zu ziehen, wenn eine lange Ehe am Ende ist. Sie wollen auch wissen, wie man eine neue Liebe findet. Zudem ist es eine immer beliebtere Option, im mittleren Alter Unternehmerin zu werden. Bei den Geldfragen ist die Altersvorsorge ein grosses Anliegen, aber auch die College-Finanzierung für die Kinder.

Sie schreiben: «50 ist nicht das neue 30. 50 ist das neue 50!» Wieso ist das so wichtig für Sie?
Wäre 50 das neue 30, hätte ich ein weiteres Baby. Meine Lebensversicherungspolice wäre nicht so teuer. Ich würde keine Darmspiegelung brauchen. Ich wäre nicht in der Menopause. Das Alter ist mehr als eine Zahl und wir dürfen dieser Zahl nicht die Macht geben, uns zu sagen, was wir tun können und was nicht – immer im vernünftigen Rahmen natürlich.

Erfindet Ihre Generation gerade das Alter neu?
Gewissermassen schon, denn wir wissen, dass wir länger leben. Meine spanische Grossmutter zum Beispiel ist 101 und mein fast 80-jähriger Vater betreut sie! Ich bin fast 55 und noch mit meinen drei Teenagern im selben Haushalt. Ich arbeite gleich viel oder mehr als früher, ich halte mich in Form und schmiede Pläne für die Zukunft, die nichts mit dem Ruhestand zu tun haben. Und da bin ich nicht die Einzige. Es geht nicht darum, länger zu leben ­– es geht vielmehr darum, das Beste aus den Jahren zu machen, die wir haben.

Wie wichtig ist ein selbstbestimmtes Leben für Frauen über 50?
Selbstbestimmung heisst unabhängig sein, nur darum geht es. Frauen wollen nicht mehr finanziell vollständig von einem Mann abhängig sein, auch ältere Frauen nicht. Deshalb suchen sie Möglichkeiten, wie sie ihr Einkommen ergänzen können, oder sie starten im mittleren Alter eine Berufskarriere, wenn sie sich vorher zu Hause um die Kinder gekümmert hatten.

Wie gut sind sie auf den Ruhestand vorbereitet?
Wenn man seinen Beruf liebt, ist wohl niemand mental auf den Ruhestand vorbereitet. Finanziell schon. Heute erreichen viele Frauen ihr mittleres Alter und müssen – wie ich – erkennen, dass es ihr bisheriges Leben nicht mehr gibt. Sie müssen ganz von vorne beginnen. Das sind keine schönen Aussichten.

Welches ist die grösste Herausforderung für Frauen über 50?
Wahrscheinlich die Altersdiskriminierung. Sie ist ein Problem und eine Herausforderung. Es gibt sie überall. Meine 17-jährige Tochter kommt schneller zu einem Teilzeitjob als eine 50-jährige Person, die denselben Job sucht. Ich sehe das jeden Tag.

Sind Frauen stärker davon betroffen als Männer?
Ja, das glaube ich. Und das meine ich nicht verbittert, es ist eine Tatsache und war schon immer so. Ein Mann mit grauem Haar ist ein Silberfuchs, eine Frau mit grauem Haar eine Grossmutter. Das glaube ich natürlich nicht, aber so lautet das Stereotyp. 

Erkennen Sie in der Art, wie Frauen altern, kulturelle Unterschiede?
 Ja, grosse Unterschiede. Sogar innerhalb der USA. Eine ältere Frau in San Francisco steht dem Älterwerden anders gegenüber als eine Frau aus Florida, wo plastische Chirurgie zum Alltag gehört. In Europa akzeptieren Frauen, so denke ich, das Älterwerden besser: Es gibt einen grösseren Trend in Richtung Mehrgenerationenhaushalte, welche in den USA noch selten sind. In Südamerika haben Frauen schon sehr früh Kinder und fühlen sich deshalb tendenziell früher alt.

Was hat Sie an älteren Frauen am meisten überrascht?
Dass Sich-alt-Fühlen nichts mit dem Alter zu tun hat. Es gibt Menschen, die sich in ihren 20ern schon alt fühlen, und 80-Jährige, die sich jugendlich fühlen. Älteren Frauen ist es zunehmend egal, was andere von ihnen denken, aber sie haben auch damit zu kämpfen, dass sie in der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen werden. Wir müssen unserer Stimme Gehör verschaffen, aber nicht auf Kosten der Jugend. Ich mag es nicht, wenn ältere Menschen die Jugend für all ihre Probleme verantwortlich machen. Ich sage ihnen dann, sie sollen an ihre Jugend zurückdenken. Es hat Platz für alle, Jung und Alt.

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VivaFifty.com

Viva Fifty gehört zu den erfolgreichen Online-Communitys für Frauen über 50, die in den letzten Jahren entstanden sind. Die Plattform ist zweisprachig und multikulturell und widmet sich der Freude, die das Leben im mittleren Alter mit sich bringen kann. Ein Team von Bloggern und Autoren publiziert wöchentlich Artikel und Posts zu Themen wie Gesundheit, Beziehung oder Finanzplanung und chattet auf Social Media. Die Leserschaft setzt sich in erster Linie aus 30- bis 60-jährigen Frauen aus den USA und aus Puerto Rico zusammen. Gründerin und CEO von Viva Fifty Media ist Lorraine C. Ladish (54). Sie ist eine spanisch-amerikanische Redakteurin und Buchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Sarasota, Florida.

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